Achtelfinale Island gegen England - "Chiahuahua" gegen "Rhinozeros"

Annecy. Der Raum Marke Programmkino hat nichts vom UEFA-Pomp. Vorne ein Tisch mit einer übergeworfenen, faltigen weißen Tischdecke. Darauf vier Wasserflachen aus Plastik. Ohne Logo. Dahinter ein souveräner, freundlicher Herr und zwei lässige Fußballer wie aus einem Boygroup-Katalog.

Arnor Ingvi Traustason (vorne) feiert mit seinen Teamkollegen den Sieg über Österreich.

Arnor Ingvi Traustason (vorne) feiert mit seinen Teamkollegen den Sieg über Österreich.

Foto: Georgi Licovski

Elmar Bjarnason und Arnor Ingvi Traustason, Vorbereiter und Siegtorschütze des 2:1 über Österreich. Willkommen auf Island, mitten in Annecy.

Die drei erklären im Novotel nahe ihres Quartiers Annecy-le-Viex gerade, wie sie zur Attraktion der bisherigen Europameisterschaft wurden. Der freundliche Herr ist Islands schwedischer Trainer Lars Lagerbäck. Allerdings erweckt er den Eindruck, der umsorgende Vater der zwei zu sein. Väter haben das Leben verstanden. Das isländische Selbstbewusstsein? „Wenn du ein gut organisiertes Team hast, in dem jeder seine Aufgaben kennt, gibt das schon Selbstbewusstsein.“ So einfach ist das manchmal.

Islands Parforceritt durch die Qualifikation mit gleich zwei Siegen über die Niederlande sowie über Tschechien und die Türkei galt noch als Sensation. In Frankreich holten die Isländer jeweils ein 1:1 gegen Portugal und jenes historische 2:1 über Österreich. Bjarnason gab in der 90. Minute den entscheidenden Pass auf Traustason. Erster Sieg bei der ersten EM-Teilnahme — und ab ins Achtelfinale am Montag in Nizza gegen England.

Eine Überraschung noch, mehr aber nicht. Island ist jetzt 34. der Weltrangliste. „Ich bin so stolz, es ist unglaublich, eine Ehre für mich, mit meinen guten Freunden zusammenzuspielen“, sagt Bjarnason, 29-jähriger Mittelfeldspieler vom dänischen Erstligisten Aarhus GF. Traustason, 23 Jahre jung und im Mittelfeld von Schwedens IFK Norrköping zu Hause, meint: „Als Spieler wächst man in so einem Turnier und an so einem Turnier.“ Die englischen Journalisten hören gut zu. Mit ihnen sind heute 38 im kleinen Saal, vorher war es nur die Hälfte.

Bjarnason hat wahrscheinlich recht, wenn er sagt: „Ich glaube nicht, dass die Engländer uns unterschätzen.“ Und dann wirft er der Presse noch das Bild vom Underdog zu, auf isländisch: „Wir sind der Chiahuahua, die Engländer das Rhinozeros.“ Als ehemaliger Spieler von Celtic Glasgow weiß er, dass die Briten es übertrieben mögen. Lagerbäck ist in Frankreich gleichberechtigter Cheftrainer im Gespann mit Heimir Hallgrímsson. Nach der EM ist für Lagerbäck Schluss. Island wird für ihn dann etwas sehr Besonderes gewesen sein.

„In so einem kleinen Land, ist es schwierig Nationaltrainer zu sein, weil die Auswahl an guten Spielern nicht groß ist. Der Erfolg geschieht nur, wenn alles perfekt läuft.“ Von 2001 bis 2009 war er Nationaltrainers Schwedens, danach für ein Jahr der Nigerias. Schweden hat knapp zehn Millionen Einwohner, Island bekanntermaßen 330.000 (also in etwa so viele wie Bielefeld) — England 54 Millionen.

Dem Brexit der Briten räumt Lagerbäck für Montag keine allzu große Bedeutung ein. „Ich denke nicht, dass dich das tangiert, wenn du bei so einer Endrunde bist. Es sollte die Spieler und den Trainer nicht beeinflussen.“ Er jedenfalls konzentriert sich, „business as usual“, auf das Achtelfinale. „Wir werden sehen, wie weit es geht. Das Viertelfinale ist schon ein tolles Ziel.“ Bjarnason nickt neben ihm. Er ist Fan von Manchester United, jetzt trifft er auf dessen Superstar Wayne Rooney. Und? „Wenn er mich fragt, werde ich ihm mein Trikot geben.“ Die englischen Journalisten überlegen kurz, ob das nur ein flotter Spruch ist, ehe sie lachen. Keine Frage: Die drei da vorne erwecken nicht im Ansatz den Anschein, besonders hoch gegen England verlieren zu wollen.

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