Die „Schande von Gijon“ und Kung Fu

Leipzig (dpa) - Gijon, 25. Juni 1982, 17.25 Uhr: Horst Hrubesch köpft im Vorrundenspiel gegen Österreich zum 1:0 für Deutschland ein und sorgt damit für den einzigen Höhepunkt einer Partie, die als „Schande von Gijon“ in die WM-Geschichte einging.

Die „Schande von Gijon“ und Kung Fu
Foto: dpa

„Das war schon ein Skandal und das war auch sehr enttäuschend“, sagte viele Jahre später Weltmeister Günter Netzer in einem Beitrag des WDR-Fernsehens. Der ebenfalls unbeteiligte Rudi Völler urteilte nicht weniger angewidert: „Das war sicher eine ganz bittere Stunde für den deutschen Fußball.“

Unendlich lange 80 Minuten schoben sich die Spieler beider Mannschaften den Ball zu, ohne ernsthaft ein Tor erzielen zu wollen. Das 1:0 für das Team von Bundestrainer Jupp Derwall war das Wunschergebnis beider Mannschaften, die sich dadurch für die zweite Runde qualifizierten und die punktgleichen Algerier aufgrund der Tordifferenz aus dem Wettbewerb mogelten.

Die Zuschauer im Stadion, die Fans vor den Bildschirmen und nicht zuletzt die benachteiligten Algerier hielten die Darbietung für ein Schurkenstück. Die spanische Zeitung „El Comercio“ berichtete auf der Seite mit den Polizeiberichten über die Partie, viele der 41 000 Zuschauer im Estadio El Molinon winkten zum Zeichen ihres Missfallens mit weißen Tüchern, algerische Fans auf der Tribüne wedelten gar mit Geldscheinen. „Ich habe alles gehalten, was aufs Tor gekommen ist. Das waren zwar nur zwei Bälle, aber die habe ich gehalten“, erinnerte sich Harald „Toni“ Schumacher und fügte an: „Das eine war ein Rückpass, das andere ein Einwurf vom eigenen Mann.“

Die Fußball-WM 1982: Für die deutsche Mannschaft endete sie mit dem 1:3 im Finale gegen Italien und einem ramponierten Ruf. Denn die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) war nicht nur wegen ihres „Nichtangriffspakts“ negativ aufgefallen. „Bereits vor dem Finale ist dem Team von Bundestrainer Jupp Derwall ein Titel sicher: Weltmeister im Daneben-Benehmen“, schrieb die Nachrichtenagentur dpa damals.

Unvergessen ist auch das rüde Foul von Schumacher im Halbfinale gegen Frankreich, als er Patrick Battiston aus vollem Lauf im Stile eines Kung-Fu-Kämpfers k.o. kickte. Der Stürmer war bewusstlos, verlor drei Zähne, erlitt eine Gehirnerschütterung und Wirbelverletzungen. „Ich zahl' ihm die Jacketkronen“, meinte der Schlussmann zunächst rüpelhaft - ehe er Wochen später nach Frankreich reiste, um sich bei Battiston zu entschuldigen.

Das Spiel in Sevilla gewann die DFB-Auswahl mit 5:4 im Elfmeterschießen, nachdem es nach 90 Minuten 1:1 und nach Verlängerung 3:3 gestanden hatte. Nur drei Tage später reichte die Kraft nicht mehr, um Italien den dritten WM-Titel nach 1934 und 1938 streitig zu machen. Dank zwei Toren von Paolo Rossi hatte die „Squadra Azzurra“ ihr Halbfinale gegen den späteren WM-Dritten Polen mit 2:0 gewonnen. Der lange enttäuschende Stürmer sicherte sich mit insgesamt sechs Treffern, die er allesamt in den letzten drei Turnierspielen erzielte, die Torjägerkrone.

Ohne einen Sieg hatte sich Italien durch die Vorrunde gequält. Das war seinerzeit ebenso Rekord wie die erstmals 24 teilnehmenden Mannschaften, die 52 Spiele und die 17 WM-Stadien. Kein anderes Turnier wurde so früh vergeben: Bereits am 6. Juli 1966 und damit fast genau 16 Jahre vor dem Endspiel in Madrid legte der Weltverband FIFA den Gastgeber fest.

Während Italiens Schlussmann Dino Zoff bei seinem letzten von vier Endrunden-Turnieren mit 40 Jahren und 133 Tagen zum noch immer ältesten Fußball-Weltmeister wurde, gaben in Spanien Spieler ihr WM-Debüt, die in den kommenden Jahren für Schlagzeilen sorgen sollten: Diego Maradona, Roger Milla oder auch Lothar Matthäus.

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