Chelsea im Wunderland

London (dpa) - Didier Drogba schickte nach dem Wunder im Nou Camp mit zwei Zeigefingern ein Stoßgebet zum Himmel. Der FC Chelsea muss einen Deal mit dem Fußball-Gott haben. Richtig erklären konnten selbst die „Blues“ die Sensation beim FC Barcelona nicht.

Das weltbeste Team um Magier Lionel Messi entzaubert, einen 0:2-Rückstand in Unterzahl ohne Kapitän gedreht und trotz aller Widrigkeiten durch das 2:2 zum zweiten Mal nach 2008 den Einzug ins Champions-League-Finale geschafft - die alten Männer aus West-London wuchsen in diesem epischen Halbfinal-Rückspiel über sich hinaus.

„Jeder hat 150 Prozent gegeben. Wir wollten nur überleben - und wir haben überlebt“, sagte der überragende Keeper Petr Cech nach der Abwehrschlacht in Perfektion, die britische Medien so treffend als „Die Schöne und das Biest“-Duell überschrieben hatten. Nach dem 1:0-Hinspiel-Coup an der Stamford Bridge wurden die Chelsea-Stars in Barcelona mit unbändiger Leidenschaft, bemerkenswerter Effektivität und reichlich Dusel zu gefeierten Helden. Aus insgesamt vier Chancen in beiden Partien machten sie drei Tore. Club-Urgestein Frank Lampard pries selig „einen meiner feinsten Momente“ in einem Chelsea-Trikot.

„Chelsea im Wunderland“, titelte der „Guardian“. Die „Sun“ huldigte den „Incrediblues“. Die „mutigen Unterdogs“ („Daily Telegraph“) stehen urplötzlich am 19. Mai in München im Finale von Europas Glamour-Liga - und Roman Abramowitschs Traum von seiner so heissersehnten Silber-Trophäe lebt. Doch wer bitte hätte ihnen das in diesem Jahr zugetraut? Am 21. Februar nach dem 1:3 im Achtelfinal-Hinspiel beim SSC Neapel stand der Verein noch vor den Trümmern seiner Saison und André Villas-Boas, der junge Wunschtrainer von Club-Besitzer Abramowitsch, musste gehen. No-Name-Interimscoach Roberto Di Matteo übernahm. Seitdem ist Chelsea wundersam wiederbelebt.

Und von wegen Entwicklungshelfer in Barças Mini-Krise - der Tabellensechste der Premier League ist mehr denn je Angstgegner des gestürzten Titelverteidigers. Seit sieben Spielen ist Chelsea ungeschlagen gegen die Katalanen - unter Trainer Josep Guardiola traten diese gegen 52 Teams an - nur gegen eines konnten sie nie gewinnen: den FC Chelsea. Besonders für Weltfußballer Messi sind die Blues langsam ein Trauma: Auch im achten Anlauf blieb der Argentinier torlos. Diesmal setzte die tragische Figur des Abends einen Foulelfmeter an die Latte (49. Minute) und verpasste mit einem Pfostenschuss (83.) ein weiteres Mal die mögliche Vorentscheidung.

Chelsea nahm dagegen Revanche für sein Barça-Trauma von 2009, als das Andrés-Iniesta-Tor in der 93. Minute des Halbfinal-Rückspiels die Blues-Herzen gebrochen hatte (Hinspiel: 0:0, Rückspiel: 1:1). Und ausgerechnet Chelseas 58-Millionen-Euro-Sorgenkind Fernando Torres setzte diesmal mit einem Konter-Solo die Schlusspointe (90.+1). Ramires (45.+1.) hatte mit einem Traum-Heber den 1:2 Anschluss erzielt, nachdem Barça vor 94 000 Zuschauern nach Toren von Sergio Busquets (35.) und Iniesta (43.) schon wie der sichere Sieger aussah.

Das einzige Ärgernis der berauschten Gäste war der Aussetzer von Kapitän John Terry. Fern vom Ball trat er Alexis Sanchez in den Rücken und sah zurecht Rot (35.). „Wir sind alle menschliche Wesen. Die Spieler stehen unter enormem Druck“, verteidigte ihn Di Matteo. Die Presse prügelte dagegen auf Terry ein. „Die Power von Zehn (plus ein Idiot)“, kommentierte der „Daily Mirror“. Und die „Times“ spottete: „Terrys Hirnlosigkeit schadet am Ende nur ihm selbst.“

Englands Ex-Kapitän muss nun zugucken in Chelseas erstem Königsklassen-Finale seit dem verlorenen Elfer-Krimi gegen Manchester United 2008 in Moskau - ebenso wie die gelbgesperrten Ramires, Branislav Ivanovic und Raul Meireles. Damit ist Chelsea auf jeden Fall wieder Außenseiter. Aber das waren sie ja schon gegen Barça.

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