Schalke 04 Tedesco: "Wir wollen uns von der Tabelle entkoppeln"

Über den „Fluch“ einer mit Nationalspielern besetzten Bundesliga-Mannschaft, das Ringen um die Vertragsverlängerung mit Leon Goretzka und den Video-Beweis sprach unser Reporter Jürgen Beckgerd mit dem Schalke-Trainer.

Trainer Domenico Tedesco von Schalke

Trainer Domenico Tedesco von Schalke

Foto: Patrick Seeger

Gelsenkirchen. Domenico Tedesco ist ein höflicher Mensch, einer mit guten Manieren. Zu den Ruhrfestspielen in der Dortmunder Fußball-Oper in der nächsten Woche mag sich der Schalker Trainer partout (noch) nicht äußern. Mit Rücksicht auf seinen Kollegen Markus Gisdol, der mit dem Hamburger SV an diesem Sonntag (18 Uhr) auf Schalke gastiert. Gisdol könnte pikiert sein, wenn wir vor dem HSV-Spiel über das Derby sprächen. Tedesco blickt zudem ein wenig verstört drein ob der Eingangsfrage: mal sehen, ob er antizipieren kann. An ein normales Training war jedenfalls in der Länderspielpause kaum zu denken, wie er dann auch schnell betont.

Über den „Fluch“ einer mit Nationalspielern besetzten Bundesliga-Mannschaft, das Ringen um die Vertragsverlängerung mit Leon Goretzka und den Video-Beweis sprach unser Redaktionsmitglied Jürgen Beckgerd mit dem Schalke-Trainer.

Herr Teodesco: Was war schlecht in dieser Woche?

Domenico Tedesco: Wie bitte? Na ja, schlecht war eigentlich nichts. Nur, dass wir durch die Länderspiele aktuell kaum Spieler zur Verfügung haben. Wir haben dann sehr individuell trainiert.

. . . Schalker Spieler standen nach nur vier von elf Spieltagen in der „Kicker“-Elf des Tages, wurden zuletzt sogar zweimal hintereinander nicht berücksichtigt. Irren die Fachleute?

Tedesco (immer noch total ernst): Das ist ja eine subjektive Auswahl. Ich bin jedenfalls sehr zufrieden mit dem Team mit den 19 Spielern, denen wir total vertrauen . . .

. . .was ich fragen will, ist, wie es um die individuelle Klasse bestellt ist.

Tedesco: Ich bin total zufrieden damit. Wir versuchen aus den einzelnen Spielern ein Team zu machen. Das ist wichtig.

Die Stärke Schalkes liegt also jetzt mehr im Kollektiv als in der individuellen Klasse. Das war in den letzten Jahren nicht immer so. Ihr Verdienst?

Tedesco: Wenn Sie mich so fragen: Entscheidend ist immer der Kader. Trotzdem ist es wichtig, aus vielen guten Spielern eine starke Gemeinschaft zu machen. Aber nein, das ist nicht mein Verdienst, sondern der der Spieler. Sie sind sehr diszipliniert. Wir haben charakterlich Top-Jungs an Bord. Wie du trainierst, so spielst du auch.

Kommen wir auf Leon Goretzka zu sprechen. Er hat einen Vertrag bis 2018. Geht er bleibt er?

Tedesco: Das sind Themen, die uns intern nicht beschäftigen. Wir wussten letztes Jahr und auch Anfang der Saison um die Situation. Es wäre schlimm und kontraproduktiv, wenn wir das tagtäglich zum Thema machten. Dass es von außen herangetragen wird, ist klar. Es ist aber nicht so, dass es ihn oder uns belastet. Das gehört einfach dazu.

Sie haben es geschafft, indem sie Max Meyer (spielt jetzt auf der Sechserposition sozusagen als Backup für die offensiven Mittelfeldspieler) gut gemacht haben, Leon Goretzka und Amine Harit besser zu machen. Liege ich da richtig?

Tedesco: Ja. Aber Max Meyer war vorher schon gut. Das hat sich Max selbst erarbeitet, es ist sein Verdienst, weil er in Phasen, in denen er wenig gespielt hat, unfassbar gut trainiert hat. Und da stellte sich für den Trainer die Frage zwangsläufig und von selbst, wo finde ich für den Jungen die geeignete Position? Übrigens profitieren alle drei, die Sie da angesprochen haben, davon. Sie verstehen sich auch außerhalb des Platzes sehr gut. Alle drei machen einen guten Job und müssen einfach so weitermachen.

Aber es ist nicht jedem Trainer zuvor aufgefallen, das Schalker Spiel so zu entkomplizieren.

Tedesco: Das kann ich nicht beurteilen. Wir versuchen natürlich, viel mit den Spielern zu sprechen. Warum spiele ich nicht, warum spiele ich, was muss ich besser machen? Wenn du das als Spieler nicht weißt, wird’s schwierig.

Noch mal zurück zu Goretzka: Manager Christian Heidel hat gesagt, eine sportliche Perspektive würde die Angelegenheit mit ihm einfacher machen. Man könnte das als Auftrag verstehen, demnächst wieder international zu spielen . . .

Tedesco: Ich weiß nicht, ob man das so verstehen kann. Wir wollen das ja auch so, eine bestmögliche Platzierung für uns erreichen. Wie auch immer die ausschaut. Am Ende lügt die Tabelle nicht, wenn es klappt, umso schöner. Wir wollen uns aber von der Tabelle entkoppeln, um andere Dinge in den Vordergrund zu stellen.

Sie stimmen mir aber zu, dass ein Platz im internationalen Geschäft in dieser Saison mehr ist als ein „Kann“.

Tedesco: Wir haben noch nicht alle Mannschaften gespielt, wir haben noch keine 4:0 besiegt, wie Sie gesehen haben. Das sind alles ganz heiße Duelle. Es gibt zehn oder zwölf Mannschaften, die wahrscheinlich alle sagen, es sei mehr als ein „Kann“. Deswegen können wir uns nicht mit der Tabelle beschäftigen oder mit dem Mai nächsten Jahres. Wir müssen immer das Maximale aus der Trainingswoche herausholen.

Das ist Ihr Anspruch?

Tedesco: Ja. Dann kann man sich auch nichts vorwerfen. Wenn ich die Energie, die ich auf dem Platz brauche, damit verschwenden würde, mir sämtliche Szenarien auszumalen, dann müsste ich mir etwas vorwerfen. Wir machen, was wir beeinflussen können. Regeneration, Trainingssteuerung, die Spieler auf den Gegner vorzubereiten.

Sie haben eine sehr hohe taktische Kompetenz. Sie versuchen, im Spiel mehrere Systeme zu implementieren. Das ist neu auf Schalke, bislang ging es immer auf ein, maximal zwei Wegen. Wie weit ist Ihre Arbeit in dieser Hinsicht schon gediehen?

Tedesco: Wie gesagt: Ich würde es mir nie anmaßen, mich über die Vergangenheit zu äußern. Ich kann nur über das Hier und Jetzt sprechen, über uns. Da ist so, dass wir unterschiedliche Systeme und Herangehensweisen trainieren. Idealerweise fangen wir die Saison mit einem System an und beenden sie auch damit, weil alles so prima läuft. Das wäre die Wunschvorstellung, aber so funktioniert das nicht. Der Gegner stellt sich darauf ein und es gibt immer wieder Phasen im Spiel, die anders laufen, als wir uns das vorstellen. Da musst Du umstellen. Und da muss ich der Mannschaft ein Kompliment machen, weil die Spieler sehr schnell verstehen und auch umsetzen, was wir im Trainerteam erarbeiten. In Freiburg (1:0) beispielsweise hat es die Mannschaft geschafft innerhalb von ein paar Minuten etwas zu verändern.

Nachgefragt: Wie weit sind Sie in dieser Arbeit?

Tedesco: Das ist ein Prozess, der nicht irgendwann vollendet ist. Man muss immer etwas verändern. Was ich aber sagen kann: Wir sind auf einem guten Weg.

Diese taktische Raffinesse wird — auch vom Publikum — nicht immer honoriert. Man fragt sich, wo bleibt denn das Spektakel?

Tedesco: Spektakel? Spektakel ist auch immer subjektiv. Der eine versteht darunter 90 Prozent Ballbesitz, der andere, dass jede Minute eine Torchance kreiert wird. Sie verstehen, was ich meine: der eine hat diese Vorlieben, der andere jene. Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff Dominanz. Jeder möchte dominant spielen, das steht in jeder Spielphilosophie in Stuttgart wie in Hoffenheim. Was ist das aber? 80 Prozent Ballbesitz, Spielkontrolle? Angenommen, meine Mannschaft steht tief, ist kompakt, setzt Konter und der Gegner wird in seinem Ballbesitz immer wackliger, weil wir Nadelstiche setzen: Wer ist denn dann psychologisch dominant? Ich glaube, wir haben gegen Bayern einiges geboten mit acht Torchancen. Aber wir haben 0:3 verloren. In Berlin haben wir das Spiel kontrolliert mit 60 Prozent Ballbesitz. Trotzdem kam nach dem Spiel die Frage auf, warum wir nicht so viele Torchancen herausgespielt haben. Aber wir haben 2:0 gewonnen.

Also eine Frage der Liebhaberei, um auf die Vorlieben zurückzukommen?

Tedesco: Ja. gegen Wolfsburg (1:1) haben wir in der ersten Halbzeit fünf, sechs Torchancen erspielt, aber leider kein Tor erzielt.

(Tedesco ist jetzt in seinem Element. Diese Diskussion über seine Fußballphilosophie mag er.)

Es macht auf mich den Eindruck, als würden Sie einen recht unverstellten Blick auf die Dinge haben?

Tedesco: Wir wollen uns die Neutralität wahren. Das ist wichtig. Und wir wollen nicht nur durch die Schalker Brille schauen. Wir müssen ehrlich mit uns sein.

Nun ist es ja so, dass man auf Schalke immer in mindestens zwei Richtungen blicken muss: In die der Euphorie und in die der Ratio . . .

Tedesco: Am Ende gleicht es sich aus. Gegen Wolfsburg hätten wir gewinnen können — in Freiburg hätten wir unentschieden spielen oder verlieren können und haben gewonnen.

Sie galten ja anfangs als Überraschungsverpflichtung. Sind Sie schon angekommen?

Tedesco: Ja. Ich fühle mich angekommen.

. . . auch aufgenommen?

Tedesco: Uneingeschränkt ja. Ich spüre die Unterstützung, es gibt gute Gespräche, wir haben ein super Trainerteam. Man kann sich hier nur wohlfühlen. Die sportliche Situation ist zurzeit aber auch nicht die schlechteste. Es fühlt sich gut an.

Wir haben ja gerade schon über den modernen Fußball gesprochen. Dazu gehört mittlerweile auch der Video-Assistent. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Tedesco: Gewöhnungsbedürftig. Die Wartezeiten während des Spiels, dass Entscheidungen zurückgenommen werden — das ist ja alles neu für uns. Wir müssen dem Ganzen Zeit geben. Fakt ist, dass großer Diskussionsbedarf entstanden ist in den letzten Wochen. Es macht aber keinen Sinn, zu viel Energie darauf zu verschwenden. Wir haben keinen Einfluss darauf. Anfang der Saison wurde uns gesagt, nur klare Fehlentscheidungen werden abgepfiffen. Aber dann braucht man eigentlich keinen Bildschirm im Stadion. Wenn der Schiedsrichter sich die Situation noch einmal auf dem Bildschirm ansieht, heißt das doch, dass der Video-Assistent sich nicht schlüssig ist. Aber dann ist meines Erachtens keine Revidierung der Entscheidung notwendig.

Etwas Persönliches: Ihr Chef, Christian Heidel, hat mal gesagt „lieber Gott lass uns nicht verlieren“ während der Negativserie vergangene Saison. Wie halten Sie es mit dem Glauben?

Tedesco: Ich würde mich als gläubigen Menschen beschreiben, ohne dass ich oft in die Kirche gehe.

Überhaupt dringt aus Ihrem Privatleben sehr, sehr wenig nach draußen. Gewollt?

Tedesco: Ja, ich möchte schon, dass es eher ruhig ist. Es ist nicht meine Absicht, privat für Schlagzeilen zu sorgen.

Plaudern Sie doch mal aus Ihrem Nähkästchen: Was lieben Sie, was hassen Sie?

Tedesco: Ich mag gutes Essen, dafür bin ich empfänglich. Italienische Nudelgerichte finde ich spannend, aber auch Schnitzel mit Pommes.

Was geht Ihnen denn auf den Keks? Können Sie auch explodieren, außerhalb des Platzes?

Tedesco: Klar, kann sein, dass ich mal lauter werden.

Sind sie ein politischer Mensch?

Tedesco: Ja.

Mit wem besprechen Sie sich denn privat, wenn gewisse Lebenssituationen eintreffen?

Tedesco: Mit meiner Familie, hauptsächlich natürlich mit meiner Frau.

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