Interview Nagelsmann: „Die Medienwelt verändert einen schon“

Zuzenhausen (dpa) - Nach einem furiosen Start als jüngster Trainer der Bundesliga-Geschichte bläst Julian Nagelsmann derzeit erstmals Gegenwind ins Gesicht.

Interview: Nagelsmann: „Die Medienwelt verändert einen schon“
Foto: dpa

Der extrovertierte 30 Jahre alte Chefcoach von 1899 Hoffenheim, der schon als künftiger Chefcoach beim FC Bayern München und bei Borussia Dortmund gehandelt wurde, sagt im Interview der Deutschen Presse-Agentur: „Das, was ich vergangenes Jahr gesagt habe, dass vieles zu positiv beschrieben wird, das geht jetzt extrem in die negative Richtung - auch wenn ich noch derselbe Trainer bin. Das ist schon gewöhnungsbedürftig und verändert einen auch.“ Außerdem spricht er über seinen Vertrag, Meinungsmache nicht nur im Fußball, Erfahrungen im Supermarkt und den roten Mantel, mit dem er einst in der Münchner Allianz Arena saß und damit für viel Aufsehen sorgte.

Sie sind am Wochenende zwei Jahre Chefcoach in Hoffenheim. Welche Bilder haben Sie beim Rückblick vor Augen?

Julian Nagelsmann: Wir haben hier in den zwei Jahren fast alle Extreme des Fußballs erlebt - zwischen großer Abstiegsangst bis hin zum größten Erfolg der Vereinsgeschichte mit vielen Rekorden. Das war auch verbunden mit einem positiven Stimmungswandel im Stadion. Das dritte, das es im Fußball gibt, ist das tabellarische Mittelmaß. Darin bewegen wir uns aktuell. Von daher waren es bunt gemischte zwei Jahre, die große Lust auf mehr machen.

Was waren die lehrreichsten Erfahrungen?

Julian Nagelsmann: Dass trotz großer Krise Mut auf dem Platz belohnt wird. Dass man nicht nur defensiv im Abstiegskampf erfolgreich sein kann, sondern auch mit offensiven Ideen. Und dass einen auch in ganz schwierigen Situationen einen Nackenschlag nicht am Boden liegen lässt, sondern daraus die richtigen Lehren gezogen werden können. Eine begeisternde Erfahrung war auch der Trainingseifer der Jungs: Wir hatten trotz des großen Kaders eine gemeinsame Zielrichtung und waren erfolgreich. Wir mussten aber trotz des großen Kaders auch sehen, dass man neun oder zehn Verletzte nicht kompensieren kann. Und, dass der Fokus auf den Moment international vielleicht noch größer sein muss, wenn man erfolgreich sein will.

Wie haben Sie sich als Trainer verändert?

Julian Nagelsmann: Im Grunde bin ich immer noch der Gleiche. Aber klar, die Medienwelt verändert einen schon ein bisschen. Ich habe immer gesagt, dass ich darauf vorbereitet bin, was passiert. Ich weiß, wie das Geschäft funktioniert. Trotzdem ist es manchmal erschreckend und ein abstruses Gefühl, was da so passiert. Wie man als Mensch beurteilt und in ein Schwarz-Weiß-Schema gepresst wird. Wie sich das vervielfältigt und wie einem dann manche im Supermarkt mit einer Meinung gegenübertreten, die irgendwo geschrieben stand. Seitdem verstehe ich, wie Meinungsbildung über gewisse Blätter betrieben wird und lese jeden Artikel ganz anders. Weil ich weiß, das nicht alles an der Realität ausgerichtet wird, was dort geschrieben steht - ob es in der Politik ist, in der Wirtschaft oder im Sport. Da wird teilweise schon eine tendenziöse Meinungsmache betrieben, die Menschen kaputt machen kann.

Aber Sie haben doch auch vom Hype um ihre Person profitiert, nicht nur finanziell? Plötzlich sind sie ein Star-Trainer in der Bundesliga.

Julian Nagelsmann: Ich sehe mich da auch gar nicht in der Opferrolle. Natürlich wurde ich in guten Phasen extrem gut dargestellt. Das, was ich vergangenes Jahr gesagt habe, dass vieles zu positiv beschrieben wird, das geht jetzt extrem in die negative Richtung - auch wenn ich noch derselbe Trainer bin. Das ist schon gewöhnungsbedürftig und verändert einen auch.

Wie spiegelt sich dieser Stimmungswandel im Alltag wieder?

Julian Nagelsmann: Vor ein paar Tagen kam eine Frau im Supermarkt auf mich zu und sagte: „Jetzt sollten Sie vielleicht in München schon gewinnen, wenn Sie noch länger hier Trainer sein wollen.“

Wie haben Sie darauf reagiert?

Julian Nagelsmann: Wenn Sie das sagen, dann probieren wir das.

Wie viel Authentizität lässt einem die Branche?

Julian Nagelsmann: Das hängt davon ab, wie dick das Fell ist. Wenn man es aushalten kann, dann viel. Die Branche macht sich ja die Menschen selbst. Je mehr die Dinge medial ausgeschlachtet werden, desto mehr wird man am Ende des Tages Menschen haben, die nicht mehr authentisch sind, sondern irgendwelche Floskeln raushauen. Dann aber wiederum ist der Boulevard auch unzufrieden und sagt sich: Dann müssen wir irgendwas anderes suchen. Und man fragt: Warum sagt der nichts mehr und warum wird er denn so schmallippig?

Sie haben gesagt, wenn ich mich so verbiegen muss, dass ich nicht mehr ich selbst bin, höre ich auf. Wie nahe dran waren Sie da?

Julian Nagelsmann: Es gab schon Momente, in denen ich gesagt habe: Wenn's schlimmer wird, dann mach ich es nicht länger. Wenngleich ich nie gesagt habe, ich bin kurz davor, alles hinzuschmeißen. Aber wenn es die Familie mit beeinflusst, ist das nicht schön. Es gab einige Aussagen, die mir extrem um die Ohren gehauen worden sind. Ich bin ein Mensch, der auch mal Antworten voller Ironie gibt. Aber die werden eben oftmals nicht so verstanden.

Vor zwei Jahren sind sie als junger Trainer auf den Markt getreten, völlig unbeschwert, ein Winnertyp. Sind sie das noch?

Julian Nagelsmann: Natürlich bin ich derzeit nicht zufrieden, weil ich - genauso wie die Mannschaft - erfolgreicher sein will. Ich hole mir jedoch oft Feedback ein von Leuten, die ich nicht so häufig sehe, die eine Wandlung vielleicht stärker wahrnehmen. Das Ergebnis ist eigentlich immer positiv. Ich bin noch ein genauso glücklicher Mensch. Vor allem in meiner wenigen Freizeit bin ich immer noch derselbe Typ und kann genauso lachen wie vor einem Jahr. Natürlich bin ich, was die sportlichen Ergebnisse anbelangt, nicht so glücklich wie vergangenes Jahr.

In wieweit ist dieses Tief, das die Mannschaft erlebt, hausgemacht? Und in wieweit der Fluch des Erfolgs?

Julian Nagelsmann: Wenn man sagt, gar nicht hausgemacht, dann finde ich das etwas zu einfach. Natürlich ist es so, dass wir nicht auf allen Ebenen topp performen. Wir haben einige Spieler, die kommen nicht an die Form der vergangenen Saison heran. Das können wir nicht kompensieren. Viele Spieler waren letztes Jahr in der Lage, ihr höchstes Niveau abzurufen. Dafür muss einfach absolut alles stimmen. Und bei uns konnte es zuletzt - alleine was die körperliche Komponente angeht - nicht so gut sein wie die Saison davor, da wir zehn Spiele mehr hatten durch DFB-Pokal, Champions-League-Quali und Europa League. Man darf nicht vergessen: Wir haben ein halbes Jahr praktisch nicht richtig trainieren können. Wir mussten zwischen den Spielen vor allem regenerieren und hatten Wettkampf-Ersatz-Training. Aber wir brauchen dieses Training für unser Spiel.

Und die äußeren Einflüsse?

Julian Nagelsmann: Die spielen da auch mit rein. Es gab drei, vier Teams, die unter ihren Möglichkeiten gespielt haben wie Leverkusen, Gladbach und Schalke. Deswegen war eine Lücke da und in diese sind wir reingestoßen. Jetzt ist die Tabelle so, wie auch die Finanzmittel sind. Es ist ein ganz langer Weg, den Etat von 35 auf 80 Millionen zu schrauben.

Hoffenheims Mäzen hat gesagt, wenn der Verein in der Regel einen einstelligen Tabellenplatz erreiche, sei er happy. Es sei kein Problem, mal Zwölfter zu werden und für einige als graue Maus zu gelten. Kann das nicht auch als Alibi für die Spieler dienen?

Julian Nagelsmann: Die Spieler wollen alle erfolgreich sein. Ich glaube nicht, dass das ein Alibi sein kann. Ich sage oft: Wir sind ein Club, der sich finanzieren muss über die Ausbildung junger Spieler und den Verkauf erfolgreicher Profis. Da ist es einfach schwer, immer unter die ersten Sechs vorzustoßen. Dennoch sind wir ehrgeizig.

Nach dem Winter-Abgang Sandro Wagner werden im Sommer zumindest auch Serge Gnabry und Mark Uth gehen. Auch so gesehen kann es nicht weiter steil bergauf gehen. Wo liegen da für Sie persönlich noch Reiz und Perspektive in Hoffenheim?

Julian Nagelsmann: Stand jetzt geht keiner außer den beiden. Der Reiz liegt darin, die positive Entwicklung der vergangenen Jahre zu bestätigen. Der ganz große Reiz liegt für mich auch darin, wieder ein schlagkräftiges Team zu formen und vor allem Spielern den Traum zu erfüllen, den ich selbst einmal hatte: Wir haben jetzt wieder drei Nachwuchsspieler mit Profiverträgen ausgestattet. Die gilt es zu integrieren und zu entwickeln. Alles in allem: Ich bin immer noch top motiviert und will begeisternden Fußball bieten mit dem Team.

Nach den Spekulationen um ihre Person im Zusammenhang mit Bayern München und Borussia Dortmund haben Sie gesagt: Wenn Dietmar Hopp und Hansi Flick wollen, dass ich meinen Vertrag bis 2019 erfülle, dann erfülle ich ihn....

Julian Nagelsmann: Genau! So machen wir es. Ich habe den Vertrag damals in vollem Bewusstsein unterschrieben. Dass immer mal wieder Anfragen kommen oder Vereine Ideen haben, das ist ganz normal. Auch dass man sich damit auseinandersetzt. Ich habe Herrn Hopp auch gesagt, dass ich top motiviert bin.

Würden Sie noch mal im roten Mantel auf die Tribüne in die Münchner Allianz Arena setzen oder ein Spiel der Dortmunder im Stadion anschauen?

Julian Nagelsmann: Mein Beruf ist Fußballtrainer. Das Spiel der Dortmunder in Mainz habe ich mir angeschaut, weil es das erste Spiel von Peter Stöger war. Wenn ich da nicht bin und wir verlieren gegen Dortmund, dann heißt es: „Das Spiel ist 120 Kilometer weg und er schaut es sich nicht an. Hat Nagelsmann mit Hoffenheim schon abgeschlossen?“ Es gehört schlicht zu meinem Job, den Gegner zu beobachten. Ich würde vielleicht nicht mehr den roten Mantel anziehen in München. Nicht weil er mir nicht mehr gefällt. Ich finde ihn immer noch schön, aber ich habe ihn bei E-Bay reingestellt. Mal schauen, ob ihn einer gekauft hat.

ZUR PERSON: Julian Nagelsmann war bei seinem Amtsantritt am 11. Februar 2016 mit 28 Jahren jüngster Chefcoach der Bundesliga-Geschichte. Er sicherte der abstiegsbedrohten TSG 1899 Hoffenheim den Klassenerhalt und führte sie ein Jahr später in die Europa League. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) zeichnete ihn als „Trainer des Jahres“ 2016 aus. Der gebürtige Landsberger wurde in dieser Saison schon als künftiger Trainer bei Bayern München und Borussia Dortmund gehandelt. Nagelsmann hat beim Club von Milliardär Dietmar Hopp einen Vertrag bis 2021 mit einer Ausstiegsklausel 2019.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort