Borussia Dortmund Mutmacher vom Affenfelsen

Wie Borussia Dortmund im Trainingslager im Süden Spaniens Kraft und Selbstvertrauen tankt, um 2017 einen Neustart hinzulegen / Tuchel: „Müssen uns insgesamt verbessern“/ Schürrle punktet als Aubameyang-Vertreter

 Dortmunds Mario Götze (r) und Eindhovens Davy Pröpper kämpfen um den Ball.

Dortmunds Mario Götze (r) und Eindhovens Davy Pröpper kämpfen um den Ball.

Foto: Guido Kirchner

La Linea de la Concepción. Norbert Dickel ist wirklich schon viel herumgekommen in seiner Eigenschaft als BVB-Legende. Wenn allerdings dem Stadionsprecher von Borussia Dortmund der Mund nach Betreten eines Fußballstadions offen steht und der ehemalige Mittelstürmer zuerst sein Smartphone für ein Erinnerungsfoto zückt, dann hat ihn die Dienstreise an einen besonderen Ort geführt. „Irrer Anblick“, entfuhr es Dickel mit seiner sonoren Stimme, als er sich vor dem Testspiel gegen PSV Eindhoven (4:1) im Estadio Municipal La Linea de la Concepción den Blick schweifen ließ. Kommt ja nicht so oft vor, dass einem die frische Seeluft direkt in die Nase weht, chinesische Containerschiffe vorbeiziehen und dahinter sich der berühmte Affenfelsen von Gibraltar abhebt.

Aber warum nicht in der von Touristen meist gemiedenen und der britischen Kronkolonie gegenüberliegenden Stadt solch ein Testspiel abhalten? Wobei Thomas Tuchel am Samstag schon genügte, was sich direkt vor ihm auf dem Rasen abspielte: An der Meerenge legte der Champions-League-Achtelfinalist gegen den Dritten der niederländischen Ehrendivision eine rundweg reife Leistung hin. Der Trainer setzte zwei komplette Mannschaften ein, die fast ohne Leistungsabfall auftraten. „Alle sind sehr austrainiert aus dem Urlaub gekommen, die Pause hat uns gut getan“, befand Tuchel.Zudem gab es erste sachdienliche Hinweise, wie die wochenlange Abstinenz von Pierre-Emerick Aubameyang zu überbrücken ist.

Kommt Gabun als Gastgeber des Afrika-Cups bis ins Finale, fehlt der kapriziöse Torgarant bis zum Heimspiel gegen RB Leipzig (4. Februar). Tuchels erste Ersatzkandidaten Adrian Ramos und André Schürrle spielten je eine Halbzeit im Sturmzentrum, wobei letzterer nicht nur wegen eines feinen Treffers zum zwischenzeitlichen 3:0 den besseren, weil beweglicheren Eindruck hinterließ. „Ich fühle mich da vorne wohl. Wenn man so gute Mitspieler hat, kann man einiges kreieren“, sagte der deutsche Nationalspieler, neben dem sich der trotz eines verschossenen Elfmeters auffällige Marco Reus, Shinji Kagawa und Christian Pulisic als weitere Torschützen hervortaten.

Vorstandschef Hans-Joachim Watzke klatschte eingemummelt in einer schützenden Kapuzenjacke auf der zugigen Tribüne mehrfach kräftig Beifall. Möge dieser erste Auftritt doch Wegweiser für mehr Konstanz in 2017 sein. Gerade im Bundesliga-Alltag kam der Kader mit seinen vielen Hochbegabten so oft vom Weg ab (Platz sechs, nur sieben von 16 Spielen gewonnen), dass eine Kurskorrektur zwingend notwendig erscheint. Das neuntägige Trainingslager in Marbella soll die Basis für den Neustart legen, und Tuchel zeigt sich diesbezüglich hoffnungsvoll. „Jeder Tag gibt uns das Gefühl, dass wir eine gute Stimmung haben, die Mannschaft mit den verschiedenen Mentalitäten und Sprachen sich gut versteht und bereit ist für die Aufgaben“, lautete das erste Urteil des energiegeladenen Coaches, um dessen geringen Empathie-Faktor nicht erst seit der Wutrede von Frankfurt mehr als nur getuschelt wird.

Wer indes die Trainingseinheiten im Estadio Municipal de Marbella mitten im Stadtkern beobachtet, kann von einer Entfremdung zwischen dem Fußballlehrer und seinen Fußballern nichts feststellen — und auch kein negatives Coaching bestätigen. Der 43-Jährige verteilt Lob und Tadel in gleichen Teilen. Die Kommandos erklingen laut, die Anweisungen kommen klar — und niemand schert bei den anspruchsvollen Trainingsformen aus der Reihe. Gefühlt Hunderte von Hütchen und Markierungen begrenzen immer wieder neue Spielflächen, die mit fortschreitender Dauer einer bis zu zweistündigen Einheit immer schmaler werden.

Kiebitze wie der in Marbella lebende Fernsehmoderator Jörg Wontorra, der sich zuvor eine Übungsstunde beim ersten BVB-Gegner Werder Bremen (21. Januar) angesehen hatte, geraten ob des hohen Niveaus ins Schwärmen. Die Vorgaben sind komplex. Dem peniblen Taktiker Tuchel ist es ja viel zu banal, den Verbesserungsbedarf allein auf die defensive Stabilität und die Zahl der vielen Gegentore (oder Rückstande) zu beschränken. „Es gibt nicht den einen Schwerpunkt: Wir müssen uns insgesamt verbessern. Nicht nur einen Aspekt herauslösen, dafür hat der Fußball zu viele Facetten. Uns gibt schon Stabilität, mit 20, 22 Spielern durchgehend trainieren zu können.“ Was er damit auch sagen wollte: Dann sind Vorstellungen wie der Mutmacher vom Affenfelsen die logische Folge.

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