Liga-Check 16/17 Darmstadt: Ein Erfolg, der sich kaum wiederholen dürfte

Für Darmstadt 98 wird es schwer, erneut die Klasse zu halten. Der Abgang von Galionsfigur Schuster schmerzt die Lilien.

In der Innenstadt von Darmstadt wurde der Aufstieg ausgiebig gefeiert.

In der Innenstadt von Darmstadt wurde der Aufstieg ausgiebig gefeiert.

Foto: dpa

Darmstadt. Der SV Darmstadt 98 war in den vergangenen drei Jahren die Wundertüte im Profifußball. 2013 in die Regionalliga abgestiegen, dann nur dank des Lizenzentzugs von Kickers Offenbach drittklassig geblieben, starteten die Lilien durch. Mit dem „Wunder von Bielefeld“ glückte nur ein Jahr später über die Relegation der Aufstieg in die Zweite Liga. Es kam noch besser. Als Abstiegskandidat starteten die Darmstädter nach über zwei Jahrzehnten Zweitligaabstinenz in die Saison — und voll durch. Nach dem Bundesliga-Aufstieg wurde zunächst mehr über das marode Stadion berichtet, die Fußballer nahm in der Eliteklasse keiner wirklich ernst, der Klassenerhalt hatte fast schon märchenhafte Züge.

Mit Trainer Dirk Schuster ist der Vater des Erfolgs von Bord gegangen und heuerte beimFC Augsburg an. Ist das eine Zäsur, die zu verkraften ist?

Schuster hatte nach dem überraschenden Klassenerhalt noch ein Treuebekenntnis zu den Lilien abgegeben. Doch nach dreieinhalb Jahren beim SV Darmstadt 98 und einer Erfolgsgeschichte, die sich kaum wiederholen dürfte, verließ er „sein Baby“. Er hat es hochgepäppelt und entschied sich mit dem Wechsel nach Augsburg zu seinem nächsten Karriereschritt. Schuster wird nur schwer zu ersetzen sein. Er war die Integrationsfigur bei den Lilien, er gab die Richtung vor, sorgte für den Mannschaftsgeist, die Spieler folgten ohne Wenn und Aber. Das muss sein Nachfolger Norbert Meier erst einmal hinbekommen.

Mit Holger Fach wurde erstmals ein hauptamtlicher Sportlicher Leiter eingestellt. Wie wirkt sich das auf die Transfers aus, was kann Fach bewirken?

Schuster war beim SV 98 für alles zuständig, auch für Transfers. Mit der Verpflichtung von Fach wird der neue Coach in diesem Bereich entlastet, der SV 98 wird nach und nach ein „normaler“ Verein. Fach hat es allerdings verdammt schwer. „Die Konkurrenz nimmt uns jetzt ernst, die überlassen uns nicht wie im Vorjahr so einfach ihre Spieler,“ weiß Fach um die Schwere der Aufgabe. Zwar wurde der Personaletat von 17 auf etwa 22 Millionen aufgestockt, doch damit sind die Darmstädter nach wie vor das Schlusslicht der Liga. Geduld haben, bis sich der Markt abgekühlt hat, lautet die Devise. Solche Glücksgriffe wie im Vorjahr mit Torjäger Sandro Wagner, Konstantin Rausch, Luca Caldirola oder Peter Niemeyer muss Fach erst mal hinbekommen.

Der personelle Aderlass ist groß. Wie reagiert die Führungsriege?

Präsident Rüdiger Fritsch liegt mit der sportlichen Leitung auf einer Linie. Ruhe bewahren, lautet sein Motto. Aber er stellt kämpferisch fest: „Wir werden nicht von einem Sportverein zu einer Bank mutieren. Unser Ziel ist es, am Ast Bundesliga so lange festzuhalten, wie es geht. Und dazu gehört auch eine progressivere Ausgabepolitik als bisher. Wir wollen das eingenommene Geld sinnvoll reinvestieren.“

Auf Norbert Meier kommt eine Herkulesaufgabe zu. Welche Pläne hat er?

Meier ist sich bewusst, dass der Klassenerhalt eine äußerst schwere Aufgabe wird. Will aber nichts davon hören, dass das zweite Jahr das schwerste sei. Doch er muss zweigleisig denken. Meier kämpft in Darmstadt auch gegen den Kultstatus seines Vorgängers an. Bei Misserfolgen mussten in Darmstadt in der Vergangenheit zunächst immer die Trainer bei den Fans den Kopf hinhalten. Es steht zu befürchten, dass diese „Bewährungsprobe“ schon im September ansteht.

Der SV 98 hat viele Führungsspieler verloren, andere wollen den Verein noch verlassen. Kann der SV 98 den Aderlass verkraften?

Der SV 98 hat durch die Abgänge von Sandro Wagner, Christian Mathenia, Luca Caldirola, Konstantin Rausch, Slobodan Rajkovic und Tobias Kempe an Qualität verloren. Dem steht mit dem ukrainischen Nationalspieler Artem Fedetsky bislang erst ein gestandener Profi als Neuzugang entgegen. Immanuel Höhn, Antonio Colak sowie die Torhüter Michael Esser und Daniel Heuer Fernandes müssen ihre Bundesligatauglichkeit erst noch nachweisen. Fünf bis sechs Verstärkungen müssen noch verpflichtet werden, um im Kampf um den Klassenerhalt bestehen zu können.

Seit Jahren wird über einen Stadionneubau diskutiert, nun ist er vom Tisch. Wie wirkt sich das auf die Zukunft der Lilien aus? Bislang bekamen die Darmstädter die Lizenz für die Erste und Zweite Bundesliga nur mit einer Ausnahmegenehmigung, da der SV 98 der DFL mit dem geplanten Umbau des Stadions am Böllenfalltor eine Perspektive aufzeigen konnten. Die ist mittlerweile dahin, die Umbaupläne werden von der Stadt am alten Standort nicht mehr verfolgt, da es zu viele Einsprüche und baurechtliche Bedenken gibt. Der Verein wird nun selbst aktiv und sucht alternative Standorte und private Investoren. Ohne ein Neubauprojekt in Sachen Stadion drückt die DFL künftig wohl kein Auge mehr zu.

Wie stehen die Chancen,die Klasse zu halten?

Stand Anfang August: Schlecht. Der Kader ist bislang zu schwach besetzt. Im Vergleich zum Vorjahr, als der SV 98 von der Konkurrenz nur müde belächelt wurde, sind vorbei. Präsident Fritsch: „Wir sind im Wahnsinn des Fußball-Geschäfts angekommen.“

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