Blatter: Zwischen Machtinstinkt und Selbstzerstörung

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Blatter: Zwischen Machtinstinkt und Selbstzerstörung
Foto: dpa

Zürich (dpa) - Auch in der größten Krise versuchte Joseph Blatter, Routine vorzugaukeln - bis zum bitteren Schluss.

Der morgendliche Gang in sein Büro, selbst noch am vorerst letzten Tag im Amt als FIFA-Chef, sollte der immer größer werdenden Front der Gegner und Feinde demonstrieren: Hier bin ich. Ohne mich wird es nicht gehen. 6331 Tage nach seiner ersten, bereits skandalumwitterten Wahl zum Präsidenten des Fußball-Weltverbandes im Jahr 1998 muss der 79-Jährige seinen Arbeitsplatz in der Zentrale am Zürichberg aber doch - zwangsweise - mindestens für 90 Tage räumen.

Der sagenumwobene Machtinstinkt und wohl auch die Selbstwahrnehmung Blatters hatten nach 17 Jahren auf dem FIFA-Thron spätestens mit dem turbulenten Wahlkongress Ende Mai Schaden genommen. Sofortiger Rücktritt war nie eine Option im FIFA-Hauptquartier. Sein Lebenswerk, die FIFA, muss Blatter aber förmlich täglich weiter zusammenbrechen sehen. „Die Lage ist nicht erfreulich. Man verurteilt mich vor, ohne Beweise für irgendein Fehlverhalten meinerseits. Eigentlich ist das ungeheuerlich“, sagte er dem Magazin „Bunte“ noch am Vortag seiner durch die Ethikkommission vorläufig erwirkten Demission.

Irgendein Fehlverhalten? Blatters Gegner könnten seit jenem Wahlkongress kurz vor dem WM-Anpfiff 1998 in Paris eine lange Liste von Anschuldigungen präsentieren. Aber Blatter schaffte es immer wieder, seine Unschuld zu beweisen oder andere Funktionäre in den Fokus der Ermittlungen zu stellen - ob durch die Justizbehörden, wie im Fall des bankrotten FIFA-Vermarkters ISL, oder bei Machtkämpfen um den FIFA-Chefposten wie mit dem Katarer Mohamed bin Hammam 2011.

Selbst bezeichnete sich der Dauer-Regent des Welt-Fußballs als „Schweizer Bergziege“ - zäh und überlebensfähig in schwierigem Terrain. Die „Neue Zürcher Zeitung“ attestierte dem Mann aus dem Kanton Wallis den Instinkt, immer zu wissen „wo die Lawine heruntergeht“. Bis zu diesem Donnerstag konnte er immer ausweichen.

Die europäische Sichtweise verzerrt aber den Blick auf Blatter als maximales Feindbild auch. Noch heute ist er in vielen Ländern Afrikas und Asiens extrem populär. Nur so funktionierte auch seine Wiederwahl im Mai, als er sich gegen Prinz Ali bin al-Hussein durchsetzte. Ein Leben ohne FIFA: „Er wird es lernen müssen“, sagte seine Tochter und Vertraute Corinne Blatter Andenmatten schon vor der Sofort-Demission der Schweizer Zeitung „Blick“. Nun geht es aber doch schneller als geplant beim Wahlkongress am 26. Februar.

Nach seinem ersten überraschenden Wahltriumph gegen den damaligen UEFA-Chef Lennart Johansson hatte Blatter gesagt: „Das ist ein ungeheuer emotionaler Moment für mich, denn meine Leidenschaft gehört dem Fußball. Ich wünsche mir Offenheit, Solidarität, Verständnis und Zusammenarbeit. Ich wünsche mir, dass die große FIFA-Familie in Zukunft einig ist.“ Einen Tag später kamen Berichte über mit Dollarnoten prall gefüllte Briefumschläge im FIFA-Hotel für afrikanische Funktionäre auf. Damals noch an Blatters Seite, der zuletzt zum Gegenspieler gewandelte und nun - Ironie des Fußball-Schicksals - ebenfalls suspendierte UEFA-Boss Michel Platini.

Die FIFA hat Blatter zu einem Milliarden-Dollar-Betrieb entwickelt, dabei aber - so die Anschuldigung - auch ein System der Patronage und Kungelei befördert oder zumindest toleriert. Nur zu gerne kokettierte Blatter damit, dass er der einzige Mensch auf Erden sei, der in jedem Land vom Staatschef freundlich begrüßt werde. Dieses Leben in einer Art Parallelwelt hat ihn wohl auch in mancher Wahrnehmung getrübt.

Ein geordneter Abschied zum Wahlkongress 2015 hätte ihm Einiges erspart. Eventuell auch die Ermittlungen der Schweizer Bundesanwaltschaft wegen des Verdachts der Veruntreuung. Sind die Beweise hieb und stichfest, droht ihm sogar Gefängnis. Zumindest zu einer Auszeit auf der Zielgeraden zwingt ihn nun die Ethikkommission - die er selbst unter dem größer werdenden Druck peu á peu aufbaute und die sich beharrlich gegen den Verdacht wehren musste, viele Urteile im Sinne Blatters zu fällen.

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