Fußball/Champions League: Das 102-Sekunden-Trauma

Dienstag vor zehn Jahren verlor Bayern das legendäre Finale gegen Manchester mit 1:2.

Düsseldorf. Neulich, als Barca-Star Andrés Iniesta mit seinem Tor in der Nachspielzeit den FC Chelsea aus allen Champions-League-Träumen riss, da war es wieder so weit. Ein Fernseh-Kommentator wagte den Vergleich: "Das war ja wie bei Bayern gegen ManU 1999", sagte er. Immer, wenn ein Fußballspiel erst kurz vor dem Ende entschieden wird, erinnern sich die Fans an jenen denkwürdigen Abend des 26.Mai 1999.

Aus der Sicht des Bayern-Fans sind diese Vergleiche nicht zulässig - ja fast beleidigend. Denn das, was sich vor zehn Jahren beim Champions-League-Finale in Barcelona zutrug, ist einzigartig und an fußballerischer Grausamkeit nicht zu überbieten. Aus einem 1:0-Traum wurde binnen 102 Sekunden ein 1:2-Trauma.

90 Minuten lang haben die von Ottmar Hitzfeld trainierten Münchener das Starensemble von Manchester United im Griff. Die frühe Führung durch einen Freistoß von Mario Basler verleiht dem Team um Leitwolf Stefan Effenberg viel Sicherheit.

Doch die Entscheidung will einfach nicht fallen: Während es für die Engländer nicht eine nennenswerte Torchance gibt, vergeben die Bayern reihenweise gute Möglichkeiten. Mehmet Scholl trifft per Heber den Pfosten, Carsten Jancker mit einem Fallrückzieher die Latte. Jancker beschleicht nach seiner vergebenen Chance eine komische Vorahnung: "Es kam mir vor, als würde da heute noch jemand anderes mitspielen", sagt er Jahre später.

Die meisten anderen Bayern-Spieler haben dieses Gefühl nicht. Trotz der Auswechslung des 38-jährigen Abwehrchefs Matthäus in der 80.Minute. Und trotz der Einwechslung der "Super-Joker" Teddy Sheringham und Ole Gunnar Solskjaer. "Wieso sollten wir uns Sorgen machen? Wir hatten bis jetzt sicher gestanden und alles im Griff gehabt", erinnert sich Effenberg. Eben dieser Effenberg ist es, der in der 90. Minute souverän eine Flanke zur Ecke klärt. Im deutschen Fernsehen sagt RTL-Reporter Marcel Reif: "Nur noch diese Ecke."

David Beckham tritt den Ball in den Strafraum, der nach vorn gelaufene ManU-Keeper Peter Schmeichel steigt hoch, verpasst den Ball. Das Leder fällt ausgerechnet Matthäus-Ersatz Fink vor die Füße, sein Befreiungsschlag misslingt. Ryan Giggs bekommt noch einen Schuss, den Joker Nummer eins, Sheringham, ins Tor lenkt. United hat das Wunder, das es gebraucht hat, um zurück ins Spiel zu kommen.

Die Bayern wirken lethargisch, sie sind abwesend. Es gibt noch eine Ecke für ManU, mittlerweile läuft die 93. Minute. Wieder von links, wieder Beckham und wieder Sheringham. Der verlängert den Ball per Kopf in die Mitte, dort drückt ihn Joker Nummer zwei, Solskjaer, über die Linie. 2:1 - Manchester ist die Hauptstadt des Himmels, München die der Hölle.

In Oliver Kahn bricht etwas zusammen, sein Seelenleben gleicht einem Scherbenhaufen, wie er später erklärt. Doch er und seine Kollegen kehren diesen Haufen zusammen. "Wir haben diese Ohrfeige genommen wie Männer", sagt Mehmet Scholl. Noch in der Nacht nach der Niederlage schwört sich das Team, nie wieder ein Spiel zu früh abzuhaken und den "verflixten Pott" nach München zu holen. 2001 werden beide Vorsätze in die Tat umgesetzt.

Im Champions-League-Endspiel gegen den FC Valencia setzen sich Kahn und Co. nach großen Kampf im Elfmeterschießen durch. Vier Tage vorher gewann Bayern das dramatische Fernduell um die Meisterschaft gegen Schalke 04. Den indirekten Freistoß zum 1:1 in Hamburg verwandelte Patrik Andersson in der vierten Minute der Nachspielzeit. Es war fast so wie damals bei Bayern gegen ManU - aber nur fast.

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