Sündenbock Pirelli: „Es müssen Änderungen kommen“

Nürburgring (dpa) - Pirelli will nicht noch einmal zum Prügelknaben der Formel 1 werden.

„Wir sind zum Sündenbock für einige Probleme in diesem Sport geworden. Diese Saison ist bislang ziemlich unbefriedigend. Es müssen Änderungen kommen“, sagte der Motorsportchef des italienischen Reifenherstellers, Paul Hembery: „Die Formel 1 sollte den Reifenherstellern etwas mehr zuvorkommend sein.“ Denn eines darf sich nicht wiederholen: Das Desaster für einen Reifenhersteller mit platzenden Pneus in Serie.

Nicht nur für Pirelli wäre das ein Totalschaden, sondern für die Königsklasse des Motorsports als Ganzes. Daher forderte auch Formel-1-Geschäftsführer Bernie Ecclestone alle auf, die richtigen Lehren zu ziehen. „Stress, auch der allergrößte, kann so von Vorteil sein. So gesehen sind die Probleme, die die Formel 1 aktuell durchlebt, vielleicht das Beste, das ihr passieren konnte“, sagte er der Zeitung „Die Welt“ und welt.de. „Das eindringlichste Beispiel war in dieser Hinsicht sicher der Tod von Ayrton Senna. Danach begann eine unglaubliche Sicherheitsdiskussion, und die Formel 1 wurde so sicher wie nie zuvor“, meinte der Brite.

Nach dem Reifendesaster von Silverstone hatte Pirelli mit Hochdruck an einer Lösung für das Deutschland-Rennen gearbeitet. Die Teams bekamen - auf Bitten des Herstellers - eine klare Anleitung für den Gebrauch der neuen Hinterreifen. „Wir müssen härter sein in der Kontrolle, dass alles richtig gehandhabt wird“, betonte Hembery.

In der High-Tech-Zone Formel 1 reizen die Ingenieure das Potenzial ihrer Autos bis ans Limit aus - und bisweilen darüber hinaus. In Kombination mit den sensiblen Reifen gerieten die Experimente außer Kontrolle. „Diese Autos sind extrem. Sie gehen an die Grenzen. Und in Silverstone ist die Grenze gekommen, bevor man sie realisiert hat. Du siehst es aber erst, wenn Du da bist. Das ist auch einer der Fehler im System“, erklärte Hembery.

Ein System, das es bislang nicht erlaubte, Tests während der Saison mit den Topfahrern und den aktuellen Autos zu absolvieren. Die Folge: Pirelli musste auf einem drei Jahre alten Wagen (Lotus) seine jeweiligen neuen Entwicklungen prüfen. Nicht so schlimm? Pirelli wäre mit seinen Testwagen „etwa sechs, sieben Sekunden langsamer“ als es Sieger Nico Rosberg und dessen Verfolger beim England-Rennen waren. Im Vergleich zum Vorjahr seien die Autos drei Sekunden schneller gewesen. „Wer hat uns das gesagt? Niemand.“ Kritisieren konnten im Nachhinein alle. Die Fahrer drohten bei einer Wiederholung der Vorfälle von Silverstone sogar mit Boykott.

Beim nächsten WM-Lauf in Ungarn Ende des Monats wird Pirelli komplett neue Reifen liefern. Getestet werden diese von allen Rennställen bis auf Mercedes als Folge des Privattests für den italienischen Hersteller vom 17. bis 19. Juli - eben wieder - in Silverstone. Hembery ist aber „absolut“ sicher, dass die Probleme vom Rennen auf dem ehemaligen britischen Flughafen geregelt sind. Die wirklichen Herausforderungen kommen aber erst wieder mit Kursen wie der Ardennen-Achterbahn in Spa, dem Hochgeschwindigkeits-Parcours der Formel 1 in Monza oder der Lieblingsstrecke fast aller Fahrer in Suzuka.

Das Pikante an der Diskussion um Veränderungen für die Zukunft ist, dass Pirelli weiterhin nicht als Reifenausrüster auch für die kommende Saison feststeht. Ein Vertrag mit dem Automobilweltverband ist noch immer nicht unterzeichnet.

Ein Nachfolger angesichts der gravierenden Reformen mit der Umstellung auf Turbomotoren und im aerodynamischen Bereich stünde vor einer kaum zu bewältigenden Herkulesaufgabe. „Wenn wir morgen gehen würden oder müssten, würde sich derjenige ordentlich abstrampeln“, sagte Hembery. „Auch wenn er schon Erfahrung in der Branche hätte.“

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