Experte Sörgel nimmt Athleten in die Pflicht

Bonn (dpa) - Nach dem Sturm im Saal 4800 weht frischer Wind durch die Erfurter Blutmanipulations-Affäre. Die Parteien streiten sich jetzt über die Auslegung der Experten-Urteile, die am Vortag im Sportausschuss für großen Wirbel gesorgt hatten.

Die Nationale Anti-Doping-Agentur (NADA) wird bestürmt, ihre Aufklärung voranzutreiben. Doch die Dopingfahnder wollen sich nicht unter Zeitdruck setzen lassen - für alle steht zu viel auf dem Spiel.

Pharmakologie-Professor Fritz Sörgel nimmt im Fall des Erfurter Sportmediziners Andreas Franke vor allem die behandelten Athleten in die Pflicht. „Bei jedem Dopingtest muss ja ein Fragebogen ausgefüllt werden. Dass dann Sportler eine Blutentnahme mit UV-Bestrahlung und anschließender Re-Infusion nicht draufschreiben, das ist für mich der schwerste Regelverstoß“, sagte der Institutsleiter aus Nürnberg der Nachrichtenagentur dpa. „Eine Blinddarm-Operation hätte ja wohl auch keiner vergessen einzutragen.“

Sportmediziner Franke soll am Olympia-Stützpunkt (OSP) Thüringen in Erfurt das Blut von rund 30 Sportlern einer unzulässigen UV- Bestrahlung unterzogen und dann reinfundiert haben - angeblich, um Infekten vorzubeugen. Für Sörgel ist die Causa Erfurt ein klarer Fall. „Das ist ganz klar eine verbotene Methode, das wird seit vielen Jahren auch vom CAS so bewertet. Es ist zwar kein leistungssteigerndes Doping, aber das muss sanktioniert werden“, forderte der 61-Jährige.

Sörgel, ein anerkannter Wissenschaftler, wurde im Sportausschuss - der erneut hinter verschlossenen Türen tagte - wegen seiner rigorosen Meinung vom Unions-Sportobmann Klaus Riegert sogar als „Apotheker“ abgekanzelt. Riegert sieht auch den Fall ganz anders - er fordert „Aufklärung statt Vorverurteilung am Olympiastützpunkt Erfurt“. Im laufenden Sportgerichtsverfahren müsse aufgeklärt werden, „ob es sich wirklich um eine verbotene oder um eine zwar zweifelhafte, aber therapeutische Methode der Alternativmedizin gehandelt hat“, heißt es in einer Pressemitteilung.

„Wir halten uns an die Spielregeln, egal wie viel Unruhe rund um eine nicht-öffentliche Ausschusssitzung entsteht“, erklärte die NADA-Vorstandsvorsitzende Andrea Gotzmann. „Wir sind der Auffassung, dass in Erfurt eine verbotene Methode angewendet wurde. Sonst hätten wir ja keine Verfahren eingeleitet“, sagte NADA-Vorstand und -Chefjustiziar Lars Mortsiefer. Dennoch könne derzeit „niemand mit 100-prozentiger Sicherheit sagen, dass es sich um einen Dopingfall handelt“.

Erst gegen zwei der 30 Athleten hat die NADA Verfahren eingeleitet. Zur rechtlichen Einordnung der von Franke angewendeten Methode wurde ein Gutachten in Auftrag gegeben; es soll Ende Mai vorliegen. Erst nach den zwei Präzedenzfällen dürfte die NADA über die Einleitung weiterer Verfahren entscheiden, denn auch das finanzielle Risiko von Klagen ist sehr hoch.

„Wozu braucht man ein Gutachten, wenn das Verbot angeblich so eindeutig ist?“, fragte Eisschnelllauf-Olympiasiegerin Claudia Pechstein in einem Interview der Zeitung „neues deutschland“. Die Forderung nach Meldung jeder medizinischen Maßnahme bezeichnete die Berlinerin als „Schwachsinn“. Im Prinzip sei es zu begrüßen, wenn sich die Politik „ernsthaft“ mit diesem Thema beschäftige. „Wenn in dem Ausschuss als einziger Antidoping-Experte allerdings mit Fritz Sörgel ein Apotheker zurate gezogen wird, dann darf sich die Politik nicht wundern, wenn es Sportler gibt, die den Sportausschuss nicht ernst nehmen.“

Martin Gerster, sportpolitischer Sprecher der SPD, stellt die Frage nach der Verantwortung. „Schon 2007 tauchte in einer E-Mail der NADA an den OSP-Leiter in Erfurt das Wort 'Brisanz' auf. Doch darauf hat keiner so richtig reagiert und alles so weiterlaufen lassen. Man hat offensichtlich dem Experten Dr. Franke blind vertraut“, sagte Gerster. Und: „Das BMI als größter Geldgeber hätte da längst mal nachfragen müssen: Was wird da überhaupt gemacht?“

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