Die Tour de Diät

Die Pedaleure auf der Rundfahrt werden immer dünner und stürmen als „Klappergestelle“ über die Berge.

Vittel. Betroffene haben immer ihre eigene Sicht. Nein, man sei nicht zu dünn, auf jeden Fall nicht dünner als in den vergangenen Jahren auch. Die Standardantwort bekommt man von A wie Astana bis S wie Skil-Shimano, quer durchs Feld der rund 170 verbliebenen Fahrer auf der Tour de France. Dabei kommen viele Profis daher, als hätten sie sich kurz zuvor noch beim Casting für Heidi Klums Model-Soap versucht. Ausgeschieden nur, weil die langen Haare fehlten und die Stilettos mit Rennfahrerschuhen verwechselt wurden. Auf dem Catwalk der Tour sind die dürren Kerle allerdings ganz vorne mit dabei.

Die Wirklichkeit zeigt Fahrer, die sich beim ersten Anblick schon im Grenzbereich von Magersucht und Diät-Wahn bewegen. Als Franck Schleck von der dänischen Equipe Saxo Bank in Monaco durch die Hallen des Monte Carly Bay Hotels stöckelte, konnte einem beim Anblick der dünnen Beinchen angst und bange werden. Wie soll jemand damit fast 3500 Kilometer in 21 Etappen absolvieren können, möglichst mit einem Schnitt von 40 Stundenkilometern?

Doch bei den Radprofis gilt das alte italienische Motto. "Beim Abendessen immer hungrig vom Tisch aufstehen", hatte Fausto Coppi, ein Star der 40er und 50er Jahre, einst verkündet. Brice Feillu, ein 23-jähriger Schlaks, der die Bergankunft in Andorra-Arcalis gewann, wiegt 66 Kilo - bei 1,88 Meter Körpergröße. Fast schon zu leicht für die Klumsche Show. Vom Body-Mass-Index, dem Verhältnis von Körpergröße zu Gewicht, gar nicht erst zu reden.

Diät statt Doping? Oder muss eventuell beim Gewichtmachen mit Appetitzüglern oder Abführmitteln nachgeholfen werden? Die einstige spanische Skandaltruppe Liberty Seguros tauchte als eine der ersten Mannschaften mit neun "Klappergestellen" vor allem bei der Tour de France auf, der füllige Teamchef Manolo Saiz hatte es so angeordnet. Es wurde wohl auch chemisch nachgeholfen, schließlich war diese Equipe Kundschaft von Dopingarzt Fuentes in Madrid.

Contra gibt es aber von einem Leichtgewicht. "Es hat eine Menge mit Willen, Disziplin und Wissenschaft zu tun", sagt Bradley Wiggins. Der Brite ist zum Skelett abgemagert, 75 kg bei 1,90 Meter Körpergröße. "Ich weiß, dass jetzt einige sagen, der dopt. Aber ich bin sauber, erst die Diät hat mich bei Rundfahrten nach vorne gebracht. Wenn ich vorne mitfahren kann, dann ist das ein Indiz für einen sauberen Radsport."

Auch sein Teamkollege bei Garmin-Slipstrem, David Millar, speckte noch einmal vier Kilogramm ab. "Die Diät war ein Weckruf, nun klettere ich viel leichter." Dagegen verkalkulierte sich Linus Gerdemann von Team Milram im Vorfeld der Tour du Suisse, er trieb mit zu viel Ehrgeiz die Gewichtsabnahme voran. "Ich war dann ausgebrannt, hatte nichts mehr zuzusetzen." Der Münsteraner gehört eher zu den Normalgewichten. Will er wirklich nach ganz vorne, kommt er an speziellen Gewichtsprogrammen für die Frankreich-Rundfahrt auf Dauer nicht mehr vorbei. Kaum ein Fahrer hat ein Fettgehalt von über zehn Prozent, fünf bis sechs ist Standard, ein Simon Geschke (Berlin/Skil-Shimano) kommt auf 3,5 Prozent - grenzwertig. Geschke gilt als zukünftiger Bergfahrer.

Fast alle nehmen im Laufe der Rundfahrt ab. Bei Flachstücken werden zum täglichen Grundumsatz eines Menschen von rund 2000 Kalorien noch einmal 3500 bis 4500 benötigt. Bei den Bergetappen werden bis zu 8000 Kalorien verbraucht, was dem Verbrennungswert von einem Kilo Körperfett entspricht. Dennoch kippt über die 23 Tour-Tage die Kalorienbilanz ins Negative, soviele Kalorien kann ein Mensch nicht tagtäglich rückführen, wie er im Rennen verbraucht. Süßigkeiten sind dennoch tabu, einzelne Gummibärchen am Ende des Tages gelten als größte Belohnung, wie Fabian Wegmann von Team Milram zu berichten weiß. Am Ende aber werden die "Klepper" im Peloton nichts ausrichten. Es sei denn, sie bekommen den Spagat hin - zwischen Training, Leistungsaufbau und Diät.

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