Deutschland international

Nie war eine Fußball-Nationalmannschaft bunter als die von Bundestrainer Joachim Löw. In den Tagen von Südafrika manifestiert sich ein neues Deutschland-Bild in der Welt.

Erasmia. Man muss sich ja nur einmal vorstellen, Mesut Özil hätte sich Anfang 2009, als der türkische Nationaltrainer Fatih Terim intensiv um ihn warb, entschieden, künftig für die türkische Nationalmannschaft zu spielen. Und die Geschichte dann mal weiterspinnen. Dann wäre der in Gelsenkirchen geborene 21-Jährige heute kein deutscher WM-Star, sondern säße daheim auf dem Sofa in Bremen vor dem Fernseher, weil sich die Türkei gar nicht für das Turnier der Besten in Südafrika qualifiziert hat. Keine schöne Vorstellung.

Denn der Deutsche mit türkischer Abstammung ist in 73Einsatzminuten gegen Australien zum Sinnbild einer neuen, deutschen Fußball-Generation geworden, die so bunt wie bislang erfolgreich ist. Und südländische Spielkunst mit deutscher Organisation so hervorragend zu verbinden scheint, wie es kaum einem deutschen Team zuvor gelungen ist.

Müßig darüber nachzudenken, ob es je einem Spieler hierzulande gelungen wäre, ein ähnliches spielerisches Potenzial in die Nationalmannschaft zu schleusen. Denn Özil ist Deutscher, freilich mit ausländischen Einflüssen, die der Mannschaft lange gefehlt haben. "Wir haben immer einen Zehner wie Mesut gesucht", sagte Miroslav Klose gestern. "Er ist sehr wichtig für unser Spiel." "Diese Leichtigkeit, die Mesut reinbringt, tut der Mannschaft gut", hat auch Sami Khedira schon zu Zeiten gesagt, als beide noch zusammen in der U21 gespielt haben. Inzwischen haben sie den Sprung geschafft.

Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff hält das für "gelebte Immigration". Khedira, dessen Vater Tunesier ist, trägt Tugenden wie gelebten Respekt untereinander ins Team. "So bin ich erzogen worden", sagt er. Was allen gemein ist, ist die augenscheinlich absolute Überzeugung, mit der sie für das deutsche Team auftreten. "Sie stehen absolut dahinter. Diese Spieler identifizieren sich stark mit der Nation Deutschland und dem Adler auf der Brust. Sie spielen mit Haut und Haaren für Deutschland, auch wenn sie andere Wurzeln haben", sagt Löw, der in diesen Tagen beinahe täglich auf den Einfluss der elf Spieler im Kader mit ausländischen Wurzeln angesprochen wird.

Als könnte die Nation kaum glauben, dass sich die Art des deutschen Spiels tatsächlich verändert hat. Und dass dieser Prozess eine glückselige Melange aus den eingebrachten spieltechnischen Fertigkeiten und der Fähigkeit des Trainerteams ist, diese in ein System zu ordnen, in dem alle Einflüsse Platz haben. "Das neue Deutschland schickt die Fantasie an die Macht", schrieb die italienische Zeitung "Corriere della sera" nach dem 4:0 gegen Australien. Das neue Deutschland ist so multikulturell wie nie. In den Tagen von Südafrika scheint sich tatsächlich ein neues, buntes Deutschland-Bild zu manifestieren. Im Fußball. Und vielleicht auch in der Gesellschaft.

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