„Ein bisschen wie bei Nordkorea zuzuschauen“

Wie die Fans und die Presse in England das 1:4 gegen Deutschland sehen.

London. Eine goldene Regel englischer Sportreporter lautet: Egal, wie schlecht die eigenen Jungs spielen, kommentiert wird immer positiv. Bei der größten Niederlage der britischen Geschichte war das am Sonntag gar nicht einfach.

Was tun gegen die größte, die schlimmste, die peinlichste Schmach, die einem englischen Fußballfan passieren kann? Richtig: Das Ergebnis in Zweifel ziehen. "Deutschland gewinnt - mit Hilfe eines Schiedsrichters aus Uruguay", textet die "Daily Mail" säuerlich.

Dass die Engländer um ihr zweites Tor zum Gleichstand betrogen worden sind, das ist für Fans und Presse auf der Insel klare Sache, ja, Beginn des Unterganges: "Der Treffer hätte uns zurück ins Spiel gebracht." Stattdessen schauten 25 Millionen verzweifelte Fans an den Fernsehbildschirmen zu, wie ihre Mannschaft immer mehr resignierte.

Dabei hatte alles so gut begonnen: Vom G-20-Gipfel aus Toronto flimmerten Bilder des Premiers David Cameron über die Mattscheibe, der mit US-Präsident Barack Obama ein Fußballbierchen trank. Prinz Harry grüßte die Mannschaft aus New York: "So lange ihr Euch anstrengt, wird das Land stolz auf Euch sein."

Doch die Engländer wirkten so planlos, dass selbst die Reporter der Insel in irritiertes Schweigen verfielen. Und stattdessen den Gegner lobten. "Ozil" spielte wonderful, clever oder brillant. "Seht’s positiv", sagte ein Kommentator, bemüht um Fassung: "Rooney ist wegen seiner Großmäuligkeit immerhin nicht vom Platz geflogen."

"Es ist ein bisschen so, als würde man Nordkorea zuschauen", unkte ein Fan. Und die "Sun" räumt selbstironisch ein: "Wir kapitulieren - wie peinlich." In den Wettbüros wird auf den Rücktritt von Trainer Fabio Capello gesetzt. Immerhin mit Anstand sah auch Englands Spieler Steven Gerrard die Niederlage: "Das aberkannte Tor hat uns natürlich zugesetzt, aber es ist keine Entschuldigung. Deutschland verdient den Sieg."

Mehr Größe kann man nicht erwarten in einem Land, das noch lange brauchen wird, um dieses deutsch-englische Fußball-Trauma zu verarbeiten. Wer unbedingt Smalltalk über Rasensport sucht, der sollte demnächst besser über Wimbledon plaudern. Oder über Jogi Löws "retro-coole" Strickjacke, seit dem Serbien-Spiel selbst auf der Insel ein Thema.

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