Fußball 1. Bundesliga vorm Saisonfinale - Fragen an eine Liga in Aufruhr

Der Deutsche Meister ist gekürt, die Konzerne sind nervös und der HSV ist im Trainingslager: Es droht ein hochspannendes Saisonfinale in der ersten Bundesliga.

Fußball: 1. Bundesliga vorm Saisonfinale - Fragen an eine Liga in Aufruhr
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<h2>Ist eine Liga, die vier Spieltage vor Saisonende ihren Meister hochleben lässt, noch liebenswert?

Aber ja. Gut, die zwei geöffneten Weißbiere auf den 27. Titel in München gehen nicht als emotionales Feuerwerk durch. Aber für solche sind dann eben Fußball-Kapellen zuständig, für die eine Europacup-Teilnahme ein Feuerwerk allemal rechtfertigen würde. Oder auch ein Nichtabstieg: Hoffenheim, Leipzig, Bremen, Freiburg, Köln, der HSV oder Ingolstadt fielen einem da ein — allesamt Protagonisten der Liga, die die Spiele bis zum 20. Mai prägen werden. Es gibt drei Spieltage vor Ziellinie derart viel Spannung, dass die Titelfrage Randnotiz bleiben wird. Beunruhigend, aber auch ein Zeichen dafür, dass Europacup-Teilnahme oder auch Liga-Existenz ganze Vereine enorm aufwerten können.

Hochinteressant in Köln. Weil dort am Abend (20.30 Uhr) Werder Bremen seine historische Rückrunde weiter perfektionieren und Konkurrent Köln abschütteln kann. Nach nur 16 Punkten in der Hinserie holte Werder schon 29 in der Rückserie. Das ist gut. Geht aber noch besser: Unübertroffen bleibt der VfB Stuttgart der Saison 2010/11. 16 Punkte aus der Hinrunde reichten für die Entlassung von Trainer Markus Babbel, unter Nachfolger Christian Gross holten die Schwaben in der Rückserie 39 Zähler — an einen solchen Unterschied käme Werder selbst bei weiteren drei Siegen nur bis auf einen Punkt heran.

Meistens war es ja so: Der Club, der überraschend europäisch unterwegs sein durfte (oder musste), brach in der Saison darauf in der Liga ein und hatte ein handfestes Problem: Aber: Für viele der aktuellen Kandidaten sind die europäischen Reisen echte Sehnsucht. Quasi Romantik wider die Vernunft: Hertha BSC (derzeit 5., gegen Leipzig) will nicht mehr graue Maus sein, in Bremen (6.) hatte man sich mental schon vor Jahren für Jahrzehnte aus dem Kreis der Europa-Kandidaten herausverschuldet. Dem SC Freiburg (7. gegen Schalke) drücken ohnehin alle Fußball-Romantiker die Daumen, Köln (8.) muss schon 23 Jahre warten auf ein europäisches Duell. Und Borussia Mönchengladbach (9., gegen Augsburg) will eine versaubeutelte Saison mit der vielleicht besten Mannschaft all dieser Rivalen noch zu einem guten Ende führen. Sogar Schalke und Frankfurt spielen noch mit. Irgendwie.

Seit der Abschaffung des Europapokals der Pokalsieger 1999 erhält der DFB-Pokalsieger einen Startplatz in der Europa League (früher Uefa-Pokal). Sollte der DFB-Pokalsieger auf anderem Wege für einen europäischen Wettbewerb qualifiziert sein (was mit Borussia Dortmund gegen Eintracht Frankfurt am 27. Mai im Pokalfinale gut möglich ist), wäre Platz sieben für eine andere Mannschaft viel wert. Heißt: Gewinnt der BVB den Pokal und qualifiziert sich für die Champions League, nehmen der Fünft- und Sechstplatzierte der Bundesliga in der kommenden Saison an der Europa-League-Gruppenphase teil und der Siebtplatzierte an der Europa-League-Qualifikation. Sollte Frankfurt Pokalsieger werden und die Europa League über die Liga verpassen, wäre der Liga-Fünfte in der EL-Gruppenphase und der Liga-Sechste in der EL-Qualifikation. Der Siebte schaut dann in die Röhre. Verstanden?

Dortmund gegen Hoffenheim, Tuchel gegen Nagelsmann, Vierter gegen Dritter. Es ist eine Art Endspiel um den Einzug in die Champions-League (die ersten Drei der Tabelle, der Tabellenvierte muss in die Qualifikation für die CL-Gruppenphase), weil der BVB bei einem Sieg der Gäste entscheidend zurückfallen würde. Im Fokus stehen auch die hoch gehandelten Trainer, denen Karrieren von Bayern bis Barcelona zugetraut werden: Nagelsmann saß zuletzt im roten Mantel in der Bayern-Arena, Tuchel setzt immer wieder feine Spitzen gegen die BVB-Führung — niemand weiß, ob der unberechenbare Schwabe nach dem Pokalfinale nicht unvermittelt hinschmeißt.

Es geht pünktlich zum Saisonfinale wieder drunter und drüber beim Dino, der als einziges Gründungsmitglied der Liga noch nie in die 2. Liga abgestiegen ist. Das hatte man unter Trainer Markus Gisdol und einem Zwischenhoch kaum mehr für möglich gehalten, aber vor dem Abstiegsduell mit dem punktgleichen FSV Mainz am Sonntag und nach dem verstörenden 0:4 in Augsburg brennt: die HSV-Hütte. Gisdol hat die Reservisten Bahoui, Djourou und Götz verbannt, jetzt rebellieren deren Berater, einer nannte den Trainer gar einen „feigen Drecksack“. Bonmot am Rande: HSV-Sportchef Jens Todt könnte als ausgesprochener Pechvogel gleichsam zweimal absteigen. Sein Ex-Club Karlsruhe, bei dem Todt in der Hinrunde noch gewirkt hat, ist sicherer Absteiger aus der 2. Liga. Jetzt steht der HSV am Abgrund. Seit gestern werkelt Gisdol am Willensakt im verregneten Trainingslager im Luxushotel Wachtelhof in Rotenburg an der Wümme. Der HSV 2014: Relegation. 2015: Relegation. Auch seinerzeit bezog man unter Trainer Bruno Labbadia das Hotel Wachtelhof. Und 2017?

Es geht die nackte Angst um. Für die Konzerne Bayer und VW wäre das katastrophal, für alle Angestellten ohnehin. Ob es auch für die angestellten Spieler ein Graus wäre, ist dahingestellt. Nicht immer wirkt das so, weil vor allem in Leverkusen sich mancher zu sehr mit seinem Abschied zu beschäftigen scheint. Es gilt als fast sicher, dass Bayer-Trainer Tayfun Korkut (beerbte Roger Schmidt) bei einer neuerlichen Pleite beim direkten Konkurrenten Ingolstadt noch einmal ausgetauscht werden würde. Auch Andries Jonker (beerbte Valerien Ismael, der Dieter Hecking abgelöst hatte) könnte es noch treffen, wenn eine Konzernspitze einmal in Wallung kommt. Abgasskandal und Abstieg? Eine fürchterliche Kombination für VW.

Ein Bestwert wackelt: Robert Lewandowski (bisher 28) und Pierre-Emerick Aubameyang (27) könnten bei ihrem Duell beide die 30-Tore-Marke überschreiten — das gab es noch nie. Nur einmal erzielten zwei Torschützen in seiner Saison 30 Tore: Gerd Müller (FC Bayern) und Jupp Heynckes (Borussia M’gladbach) in der Spielzeit 1973/74. Darmstadt 98 (H), RB Leipzig (A) und SC Freiburg (H) sind Lewandowskis mögliche Opfer, Hoffenheim (H), FC Augsburg (A) und Werder Bremen (H) jene Aubameyangs. Kölns Anthony Modeste ist mit 23 Treffern abgehängt. Unerreichbar bleibt für sie alle aber „kleines dickes Müller“: Der „Bomber der Nation“ schaffte 1971/72 40 Tore.

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