Von San Francisco nach Las Vegas: Mit dem Fahrrad durchs Death Valley

Auf dem Fahrrad von San Francisco übers Death Valley nach Las Vegas: Ein Superlativ jagt den anderen.

Das Skelett sitzt auf einem Fahrrad, scheint aber guter Dinge. Das Bild passt gut dorthin, in den Souvenirladen von Furnace Creek. Die kleine Ortschaft mit ihrem sattgrünen Golfplatz gibt es im ausgetrockneten Death Valley nur deshalb, weil zwischen den lebensfeindlichen Felsen eine Quelle entspringt.

Die Zeichnung zeigt immerhin: Vor uns sind schon andere Radler auf die Idee gekommen, das Tal des Todes mit Pedalkraft zu durchqueren. Eben davon hatte ich schon lange geträumt: „Das schaffe ich, trotz meiner mittlerweile 53 Jahre.“ Mit entsprechendem Trainingsvorlauf — ein paar Monate regelmäßiges Joggen und auf dem Hometrainer schwitzen — geht das; wenn man ein paar Regeln beherzigt: richtige Jahreszeit (Oktober bis April), in den Mittagsstunden pausieren, ganz viel trinken.

Zwei Wochen zuvor, beim Start in San Francisco, war an die trockene Backofenluft nicht zu denken. Ein bisschen sehnsüchtig erinnern wir uns an unser erstes Picknick im frischen Klima des Pazifik. Hoch über der Golden-Gate-Bridge, wo uns ein Waschbär um Essensreste anbettelte. Wir, das ist eine elfköpfige Gruppe im Alter zwischen 40 und Ende 60.

Um das Land, die Bilder, geht es mir, nicht um sportlichen Ehrgeiz. Ich will all die spektakulären Ausblicke einsammeln. Ausblicke, die so viel mehr Wert haben, wenn man sie sich mit ehrlichem Körpereinsatz erarbeitet.

Los geht es also entlang der Pazifiksteilküste. Wir fahren durch malerische Küstenstädte wie Santa Cruz oder Monterey. Neben den Bildern sind es die Gerüche, die sich einprägen. Der Duft der Erdbeeren, die im kalifornischen Oktober geerntet werden, dann wieder Eukalyptus oder Zedern. Durch die salzige Meeresluft wabern zuweilen strenge Duftnoten von Seelöwen und Seeelefanten.

Nahe dem Küstenort Cambria machen wir die Abendtour durch das verrückte Hearst-Castle, das sich Verleger Randolph Hearst in protzigem Stil Mitte des vergangenen Jahrhunderts bauen ließ. Dann drehen wir landeinwärts. Die erfrischende Pazifikluft ist Vergangenheit. Auf einem langen Anstieg kreisen bereits die Geier über uns. Doch so lange die Beine rotieren, passen wir nicht in ihr Beuteschema.

Jetzt wird es nur noch einmal kühl auf unserer Tour — als wir nahe der Schneefallgrenze die größten Lebewesen der Welt besuchen, die Giant Sequoias. Neben diesen Baumgiganten von bis zu 80 Metern Höhe erscheinen wir Menschen klein wie Eichhörnchen. Noch eindrucksvoller indes ist es für das „Eichhörnchen“, dass es da womöglich vor einem Zeitgenossen Jesu steht: Die Riesen werden bis zu 3000 Jahre alt.

Nach einer traumhaften 25-Kilometer-Abfahrt wird es zunehmend heißer. Bald sind die Gipfel der Sierra Nevada in Sicht. Am Fuße des 4417 Meter hohen Mount Whitney stoppen wir in Lone Pine. Dort waren sie alle, die Westernhelden. Da, wo Filme mit John Wayne und Co. gedreht wurden, wo Regisseure vor der malerischen Kulisse der Alabama Hills Cowboys und Indianer aufeinander losließen, sitzen wir staunend auf unseren Drahteseln. Heute fährt niemand schnell.

Zwei Tage später erhebt sich in der Ferne die letzte Bergkette, die uns noch vom Death Valley trennt. Auf dem Anstieg, den wir in der Morgendämmerung in Angriff nehmen, hält ab und an ein besorgter Autofahrer: „Everything okay with you?“ Ja, alles in Ordnung. Nach drei Stunden sind wir oben. Geschafft. „Give me Five.“

Die nächsten 13 Kilometer Abfahrt, auf denen wir uns in die Steinlandschaft des Death Valley stürzen, sind eine einzige Belohnung. Bei Tempo 45 summe ich Barbra Streisands Zeile: „Es gibt Momente, die vergisst du nie im Leben . . .“

In Stovepipe Wells gibt es einen Pool, der uns hilft, die Mittagshitze zu überstehen. Dann geht es nochmal 15 Kilometer runter, die Luft fühlt sich an, als hätte ein Pizzabäcker seinen Ofen weit geöffnet. Das Radeln wird zum aktiven Meditieren.

Vier getrunkene Liter Wasser später erreichen wir das „Furnace Creek Inn“, das mit seinem Luxus wie eine Fata Morgana aus dem Nichts auftaucht. Abends gibt es regionale Kost: frittierten Kaktus. Ohne Stacheln. Dieser Tag mit seinen 90 Kilometern hat aufgeputscht. Trotz wohliger Erschöpfung ist lange nicht an Schlaf zu denken.

Wir bleiben drei Nächte und erkunden in den kühleren Tageszeiten, sofern man davon bei 36 Grad sprechen kann, die farbenprächtigen Felslandschaften.

Früh beginnt der letzte Tag für uns im Death Valley — schnell weit kommen bei dieser Hitze ist die Devise. Viel Leben scheint es nicht zu geben. Skorpione und Schlangen sind vom Rad aus nicht auszumachen, nur einmal nähert sich ein Kojote. Doch was ist das? Ein zugefrorener See? Kann nicht sein. Was da vor uns liegt, ist der tiefste Punkt Nordamerikas: 85 Meter unter dem Meeresspiegel blendet eine Fläche aus Salz.

Unwirklich erscheint diese karge Einsamkeit, als wir zwei Tage später im lärmenden Las Vegas das letzte Quartier beziehen. Vor dem Hotel donnern die Wagen einer Achterbahn, unten in der Lobby wird gezockt.

Mehr Gegensätze und Superlative als bei dieser dreiwöchigen Tour auf 900 Kilometern durch Kalifornien und Nevada sind wohl kaum vorstellbar: vom Baumriesen zum kleinen Kaktus, vom höchsten Berg bis weit unter den Meeresspiegel, vom frischen Pazifik in die flimmernde Wüste, von der schönsten Stadt der USA, San Francisco, in das glitzernde Kunstgebilde Las Vegas.

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