Türkei: Kleine Glücksbringer

„Güllü Baba“ ist der Seepferdchenfänger von Istanbul. Und viel mehr als eine bloße Attraktion für die Touristen.

Düsseldorf. Lange Betonpromenaden und alte Holzvillen säumen die Ufer des Bosporus. Abends flanieren hier Istanbuls Schöne und Reiche, während nebenan Autokolonnen von Luxus-Jeeps die Uferstraße entlang schleichen.

An der Promenade des alten Arnavutköy hat Mustafa Konak seinen Stand aufgebaut. Er trägt einen braunen und einen weißen Lederschuh, ein wildgeblümtes Hemd und einen Schlapphut, in den er eine rote Nelke gesteckt hat. Auf den ersten Blick wirkt der 59-Jährige wie ein Clown — und nicht wie ein türkischer Straßenhändler.

Doch Mustafa verkauft keine gefüllten Muscheln oder Pistazien. In dem runden Glas, das er auf einen Plastikhocker gestellt hat, schwimmen schwarze Seepferdchen, die er im Bosporus gefangen hat. Neugierig bleiben Passanten stehen und beäugen den seltsamen Fang.

Mustafa, auch „Güllü Baba“ genannt, erzählt von dem ungewöhnlichen Fortpflanzungsverhalten der Seepferdchen. Schwanger werden bei ihnen die Männchen, erklärt er und zeigt auf ein Exemplar mit einem kleinen Bauch. Nach einem morgendlichen Balztanz legen die Seepferdchen-Weibchen den Männchen die Eier in eine Bruttasche. Zehn bis zwölf Tage später „gebiert“ dann das Seepferdchenmännchen den Nachwuchs. Auch davon, dass die kleinen Meerestiere ihrem Partner ein Leben lang treu bleiben, weiß Mustafa zu berichten: „Sie gehen ein, wenn man sie trennt. Deshalb verkaufe ich sie nur zu zweit.“

Das Geschäft lohnt sich für Mustafa Konak. Ein Seepferdchenpaar kostet rund 100 Dollar. Eine Menge Geld — doch Mustafas Kunden können sich solch einen teuren Spontankauf leisten. Nach Arnavutköy oder Bebek kommt man mit einem dicken Auto und viel Geld in der Tasche.

Den einen oder anderen Passanten, der vorüberkommt, kennt Mustafa Konak noch aus der Zeit, als er ein Spielkasino betrieb, in dem, so erzählt er, die Istanbuler Schickeria auf der Jagd nach dem ganz großen Gewinn ihre Nächte verspielte. Eines Tages jedoch sei er das Nachtleben leid gewesen und habe sein Spielkasino verkauft.

Trotzdem sucht auch heute noch manch einer sein Glück bei Mustafa. Denn mit den Seepferdchen, die er verkauft, hat es eine besondere Bewandtnis: Wer sie zurück ins Meer wirft, habe einen Wunsch frei, behauptet der Seepferdchenverkäufer und erzählt gleich eine passende Geschichte.

Einmal kam eine reiche, aber unglückliche Dame. Sie kaufte ein Paar von Mustafas Seepferdchen und warf die Tiere noch von der Promenade zurück ins Wasser. Eine Woche später stand die Lady wieder vor Mustafa — Raki, Wein und Whisky, Hühnchenschenkel, Süßigkeiten und ein großes Dankeschön hatte sie ihm außerdem mitgebracht.

Voller Begeisterung erzählte sie dem überraschten Seepferdchenverkäufer ihre Geschichte. Die Frau war nie darüber hinweggekommen, dass ihr Mann sie vor einigen Jahren verlassen und in Australien ein neues Leben mit einer anderen Frau begonnen hatte. Doch dann — nur wenige Tage, nachdem die Dame die Seepferdchen zurück ins Meer geworfen hatte — habe auf einmal ihr reuiger Ehemann vor der Tür gestanden, frisch eingeflogen vom Fünften Kontinent.

„Früher war es viel leichter, die Tierchen zu fangen“, erzählt Mustafa Konak. „Direkt in Arnavutköy konnte ich mit meinem Boot hinaus auf den Bosporus fahren und die Tierchen mit einem Fleischspieß anlocken.“ Doch das ist vorbei: Die Millionenstadt Istanbul wächst und wächst, immer größere Mengen Abwasser landen ungefiltert im Bosporus. Inzwischen muss „Güllü Baba“ viele Kilometer fahren, um dort, wo der Bosporus ins Schwarze Meer mündet, überhaupt noch Seepferdchen zu finden, die an seinen Fleischspießen Gefallen finden.

Und, ja, es gibt den einen oder anderen Käufer, der versucht, es der reichen Dame gleich zu tun und die teuren Tiere wieder in den Bosporus wirft, um sich etwas zu wünschen. Wären da nicht die Abwässer, könnte man meinen, dass die Seepferdchen selbst das große Glück hätten.

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