Südgeorgien: Im Kindergarten der Königspinguine

Auf Südgeorgien brüten im Sommer rund 400 000 Königspinguine. Berühmt machte die abgelegene Insel der Polarforscher Sir Ernest Shackleton.

Südgeorgien: Im Kindergarten der Königspinguine
Foto: Martin Wein

Majestäten sind „not amused“. Empört recken sie die Hälse und protestieren lauthals gegen den ungebetenen Besuch. Schon von weitem ist ihr kehliges Schnarren nicht zu überhören. Den Riesensturmvogel stört das nicht. Gemächlich gleitet er rund ums Tal, will Beute machen unter den flauschigen Königskindern.

Südgeorgien: Im Kindergarten der Königspinguine
Foto: dpa/Alba Martin-Español/Science AAAS

Ein Flecken Land auf 54 Grad südlicher Breite, 36 Grad westlicher Länge. In Form einer Feder liegt die Insel Südgeorgien mitten im Südatlantik — 1400 Kilometer östlich von Südamerika, 1000 Kilometer nördlich der Antarktis. 1882 ging der deutsche Sternenforscher Carl von Schrader dort mit Kollegen von Bord der SMS Moltke an Land, um den Venustransit zu beobachten.

Zum Walfang kamen raubeinige englische Seeleute im frühen 20. Jahrhundert in die elf sicheren Häfen. Heute locken rund 400 000 Königspinguine ungleich weniger Naturliebhaber auf Expeditionsschiffen und Segeljachten auf diesen letzten Außenposten des britischen Königreichs.

Nirgendwo sonst bitten die Könige unter den Frackträgern so majestätisch zur Audienz. Zehntausende Pinguine kommen jeden Sommer auch in die malerische Fortuna Bay zwischen zwei Gletschern an der Nordküste der Insel. Der Name täuscht: Die Bucht brachte keineswegs Fortune. Sie trägt den Namen des ersten Schiffes, das dort strandete. Der Steuermann war beim Lesen eines Briefes aus der fernen Heimat so ergriffen, dass er nicht nach vorne sah.

Nur mit dem Schlauchboot kann man den felsigen Kiesstrand erreichen. In Gummistiefeln geht es einen guten Kilometer landeinwärts. Junge Pelzrobben liegen zu Hunderten in der frühen Morgensonne und glotzen mit ihren Kulleraugen, als hofften sie auf Spielkameraden. Den großen See-Elefanten mit ihren wulstigen Knubbelnasen geht man dagegen lieber aus dem Weg. Männchen schleppen bis zu dreieinhalb Tonnen Gewicht mit sich herum. Ein besonders stattliches Exemplar liegt rülpsend mitten im Weg.

Dr. Ian Stone, polarerfahrener Historiker von der Isle of Man, schiebt den Kerl mit einer Eisenstange behutsam zur Seite: „Wir haben ein Agreement. Er nervt nicht — und ich frage ihn dafür keine Geschichtsdaten ab“, scherzt Stone. Dem Treck der Besucher schließen sich immer mehr Königspinguine mit erstaunlichem Tempo an. Sie wollen rasch heim zu ihrem Partner, der oft seit Wochen auf Ablösung wartet. Im Januar ist Hochsommer. Die wenigsten Tiere balancieren noch ihr Ei auf den Füßen. Doch auch der geschlüpfte Nachwuchs will versorgt werden — bis zur physischen Erschöpfung.

Auf 150 Tauchgängen am Tag schlingen die Alten bis zu 20 Kilogramm Meerestiere in sich hinein, obwohl sie selbst kaum zwölf Kilo wiegen. Alles für die Brut, die mit spitzem Schnabel im Rachen der Eltern die Suppe auslöffelt. Die Gier hat ihren Grund: Sind die Küken größer, werden sie in eigene Kindergruppen zu wenigen Aufpassern gesteckt. „Dann sind sie oft zwei oder drei Monate allein, während Mama und Papa auf dem Meer Ferien machen und Margaritas trinken“, erklärt der chilenische Biologe Manuel Marin. Erst nach 13 oder 14 Monaten ist die Brut fit und fett genug, das pummelige, braune Jugendkleid gegen den eleganten Frack zu tauschen.

Während die Raubmöwen mit ihrem beeindruckenden Hakenschnabel Respekt einflößen, passen Menschen für die Tiere dieser Breiten nicht ins Feindschema. Ungeniert schnüffeln die Pelzrobben an den Gummistiefeln. Die Pinguine haben dagegen gar kein Auge für die anderen Zweibeiner, die oft schwere Dreibeinstative für ihre riesigen Teleobjektive mitschleppen. Dabei füllen die Tiere aus nächster Nähe auch ohne große Brennweite jeden Sucher.

Erlegte Pinguine waren — wenngleich etwas zäh und etwas fischig im Abgang — viele Tage lang die letzte Nahrungsreserve für den britischen Polarforscher Sir Ernest Shackleton, der Südgeorgien weltberühmt machte. Auf seiner dritten Expedition hatte Shackleton ab August 1914 den Kontinent Antarktika durchqueren wollen. Doch noch bevor die Crew Festland erreichte, fror ihr alter Segler „Endurance“ im Packeis fest und wurde nach mehr als einem halben Jahr einfach zerdrückt.

Die 28 Männer campierten mit ihren Schlittenhunden auf dem Eis, lebten bald fast nur noch von Robben und Pinguinsteak und hofften, sie würden nach Norden an die Packeisgrenze getrieben. In offenen Ruderbooten erreichten sie schließlich in navigatorischer Meisterleistung am 15. April 1916 die abgelegene Elefanteninsel, wo Shackleton die meisten Männer zurückließ. Mit letzter Kraft fand er mit wenigen Getreuen in 15 Tagen Südgeorgien und schleppte sich in einem 40-stündigen Gewaltmarsch über die 2000 Meter hohen Berge bis zu den Walfängern von Stromness.

Sie passierten dabei auch die Fortuna Bay, die heute so unschuldig in der Sonne liegt. Shackleton ruhte nicht, bis er auch den letzten Mann gerettet hatte. Für seine Verlässlichkeit zollen ihm heute noch alle Polarfahrer auf dem Friedhof von Grytviken Respekt. „Oh Shacky old chap“, sagt Ian Stone fast freundschaftlich. „Wärst du nicht zu spät im Jahr aufgebrochen, hättest du’s 1914 vielleicht geschafft. Aber so berühmt wie heute wärst du dann sicher nicht.“ Und selbst die Königspinguine in der Nähe neigen die Schnäbel, als sei „Shacky“ einer von ihnen gewesen.

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