Sachsen-Anhalt: Eine Romanze mit der Romanik

Auf der Straße der Romanik entdecken Touristen ein faszinierendes Stück aus Deutschlands Mitte.

Wie eine Acht schlingt sich die Straße der Romanik durch die Mitte Deutschlands. Allein Sachsen-Anhalt protzt mit 80 Stationen. Alte Fachwerkstädte bringen Romantik in die Romanik. Und dann taucht noch Goethe auf.

Film ab: Das Schlechte war, dass meine Buchung irgendwie verbosselt wurde. Das Gute, dass das Ersatzhotel noch schöner war. Direkt auf den Markt von Quedlinburg gingen meine Fachwerkfenster. Und der Portier raunte: "Unter ihnen auf Zimmer drei schläft der junge Goethe." Jener war morgens noch im braunen Dreispitz und doppelt geknöpften Mantel über den Hof der Stiftskirche gehastet. Durch frischen Schnee aus weißer Cellulose. "Den Goethe spielt der Alexander Fehling", hilft am Schlossberg ein Wachmann weiter. "Und sein Gegenspieler ist Moritz Bleibtreu." Die weiße Pracht ist schon verschwunden, der letzte Take zu "Goethe!" abgedreht. Männer in Orange kehren Filmdreck und Stroh vom Pflaster.

Bis zum Kinostart im nächsten Herbst wird Regisseur Philipp Stölzl ("Nordwand") nun schneiden. Liebesweh an der Straße der Romanik: Eigentlich hat’s den Dichter ja damals in Straßburg erwischt. So unglücklich, dass er sich sein Leiden mit dem "Werther" von der Seele schrieb. Aber an Quedlinburg führt auch dann kein Weg vorbei, wenn es um eine Romanze geht.

Begonnen hat meine roman(t)ische Reise in Magdeburg. Im Zentrum der sich hier kreuzenden Routen steht das Kloster Unser Lieben Frauen. Schlank wie Bleistifte zwängen zwei Türme den schmalen Giebel der Kirche himmelan. Als filigranes Gegenstück spitzt, keinen Steinwurf weiter, der Dom in die Höhe. 1209 errichtet, ist er nun 800 Jahre alt. So wird im Kulturhistorischen Museum der "Aufbruch in die Gotik" zelebriert. Das berühmte Postkartenmotiv von Walter von der Vogelweide - hier ist es im Original aufgeblättert. Eine ganze Wand bedeckt die Ebstorfer Weltchronik mit dem skurrilen Weltgefüge von 1300 samt Noahs Arche am Berg Ararat. Mit dem "Magdeburger Reiter" präsentiert sich Otto der Große als ältestes Reiterdenkmal nördlich der Alpen.

Superlative am Laufband: Der Dom gilt als erster gotischer Bau auf deutschem Boden. Von einem Pfeiler blickt ein Ritter im Kettenhemd auf den Lettner mit dem Grab Ottos - schwarzes Gesicht, wulstige Lippen: Es ist der Schutzheilige Mauritius, Märtyrer der Thebaischen Legion, die nicht gegen Christen kämpfen wollte und so lange dezimiert - das heißt jeder Zehnte erschlagen wurde - bis keiner mehr lebte.

Mit bizarren Formen und bunten Farben reißt draußen die "Grüne Zitadelle" von Hundertwasser aus trüben Gedanken. Wie sagte der Meister doch zu seinem Wolkenkuckucksheim aus Wohnungen und Läden: "Die gerade Linie ist gottlos." Nach zwei Jahrzehnten Einheit sind die Wunden einstiger Vernachlässigung allerorten sichtlich verheilt.

Auch kulinarisch trennt längst nichts mehr: Wie drüben im Niedersächsischen schwelgt man auch im Quedlinburger Wirtshaus "Zum Schloss" (früher "Zum blutigen Knochen") in Wurst mit Grünkohl und Bratkartoffeln.

Nur beim Trinken teilt sich noch der Geschmack: "Weißbier, nein danke!" heißt es an einem Tresen. "Trübes Bier, das ham wer in der DDR gehabt." Ein angeschlagenes Emailleschild markiert am Finkenherd jene "sagenhafte Stelle, wo dem Sachsenherzoge Heinrich die deutsche Königswürde angeboten sein soll". Das holpert zwar, tut aber der Tatsache keinen Abbruch, dass hier 919 die deutsche Geschichte begann. Heinrichs Grab findet man droben in der zauberhaft ausgemalten Krypta der Stiftskirche St. Servatius neben dem seiner Frau Mathilde. Der klare romanische Bau, dessen Rundbögen auf fein ziselierten Kapitellen ruhen, birgt den Stiftsschatz der Kaiserin Theophanu aus Byzanz - darunter das mit feinen Elfenbeinschnitzereien und einer pflaumengroßen Gemme aus Amethyst verzierte Reliquiar mit dem Schenkel des Kirchenheiligen Servatius.

In Gernrode an den Ausläufern des Harzes schiebt ein Mann seine Frau im Rollstuhl über die 1000Jahre alte Schwelle von St. Cyriakus. "Hier haben wir vor 40Jahren geheiratet", sagt er schnaufend. Wie ein roter Punkt sitzt sie still in dem seit ottonischer Zeit nahezu unveränderten Kirchenschiff, während er das Heilige Grab fotografiert. Von Ferne hört man die Dampfpfeife der ältesten Harzer Schmalspurbahn durch das Selketal.

Wie Urgestein sitzen die Gotteshäuser in einer nach dem Bombenkrieg neu erfundenen Stadt. Auf einer sandigen Achse stehen sich Romanik und Gotik gegenüber. Dort die Liebfrauenkirche, hier nach Reimser Vorbild der Dom. Orgelmusik füllt die Kathedrale bis hinauf zu den verspielten Kreuzrippen. Im Obergeschoss der Kreuzgangs ist einer der bedeutendsten Kirchenschätze der Welt ausgebreitet. 600 Pretiosen, aber schon eine allein wäre den Besuch wert: der romanische Abrahamsteppich von 1150 mit seinen sicher gesetzten archaischen Figuren.

Auf dem Brocken sind 20 Zentimeter Neuschnee gefallen. Statt zur Kultur zieht es die fröstelnden Touristen in Wernigerode zu Kaffee und Harzer Baumkuchen.

An der Silvesterikirche kreuzt noch einmal Goethe den Weg. 1777 hatte er dort den "wertherkranken" Pfarrerssohn besucht. Hinterher hatte der junge Mann seinen Lebensmut wieder und der Dichter stieg hinauf zu den faustischen Hexen vom Blocksberg.

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