Pilsen — wo das Bier zu Hause ist

In der böhmischen Großstadt dreht sich alles um Hopfen und Malz — man kann sogar darin baden. Und hat einen Zapfhahn neben sich.

Pilsen — wo das Bier zu Hause ist
Foto: Plzen-Tourismus

Pilsen. Pilsen, eine beliebte Rast-Station an einem alten Handelsweg von Bayern nach Prag, war seit Ende des 13. Jahrhunderts eine königlich-böhmisch privilegierte Bier-Stadt. 289 Bürgerhäuser besaßen Brau- und Schankrecht. Dann geschah, im Jahre 1838, etwas Unerhörtes. Bei der alljährlichen Bierprüfung fiel ihr Gebräu durch. Diagnose: Ungenießbar. 36 große Fässer des Gesöffs wurden demonstrativ vor dem Rathaus ausgeschüttet.

Die Pilsener reagierten schnell. 250 Bürger finanzierten den Neubau eines Brauhauses am Ragusa-Fluss. Und sie engagierten einen Braumeister, der mit neuester Technologie vertraut war — Josef Groll aus Vilshofen in Niederbayern. Der stellte 1842 sein Meisterwerk vor: ein goldbraunes Vollbier, herb, mit einer feinen Karamellnote, und obendrauf eine feste, weiße Schaumkrone. Das erste Pils. Heute werden weltweit 70 Prozent aller Biere nach Pilsener Art gebraut.

Das Geheimnis liegt vor den Toren der viertgrößten Stadt Tschechiens und in ihrem Untergrund. Gebraut wird — damals wie heute — mit einheimischen Rohstoffen: böhmischer Gerste, herbem Saazer Hopfen, und weichem Wasser aus einer Quelle am „Galgenberg“. „Ein Vertrag sieht vor, dass bei Wassermangel die Stadt Vorrang hat und die Brauerei kein Wasser bekommt“, erklärt Brauereiführerin Blanka Pirnerova. „Aber der Fall ist noch nie eingetreten.“

Unter den Bürgerhäusern zieht sich im böhmischen Sandstein ein Labyrinth von Kellern, die mit Gängen verbunden sind. 14 Kilometer Stollen verteilen sich auf drei Ebenen — gut 750 Meter können unter sachkundiger Führung von Touristen erwandert werden. Dabei wird schnell klar, was das mit Bier zu tun hat: Acht und mehr Meter unter der Oberfläche steigt die Temperatur nie über acht Grad. Dort kann man Lebensmittel lagern und Bier reifen lassen.

Das geschieht auch heute noch in den Gewölben der Mutter aller Pils-Brauereien, die 1898 ihren Produktnamen „Pilsener Urquell“ schützen ließ. Inzwischen erlaubt moderne Kühltechnik auch die Gärung in oberirdischen Edelstahl-Silos. Vor einem „kleinen“ 800-Hektoliter-Tank rechnet Brauerei-Führerin Blanka vor: „Um den leer zu trinken, müsste man mehr als 60 Jahre lang jeden Tag sieben Gläser Bier trinken.“ Wohlgemerkt: In Pilsen fasst das „normale“ Henkelglas 0,5 Liter.

Das Ur-Pils wird vom ersten bis zum heutigen Tag nach der gleichen Rezeptur gebraut. Die Braugerste, eingeweicht, gekeimt und zu Malz getrocknet, wird drei Mal unter Zusatz von Hopfen gemaischt (gekocht) und geläutert (gefiltert). Am Ende kommt Hefe dazu und der Sud darf gären und nachgären. „In jedem Glas Pils ist ein kleiner Löffel gemahlener Hopfen drin“, sagt Brauereiführerin Blanka. Eine Brauereiführung ist eine der Attraktionen, die Pilsen zu bieten hat. Eine zweite ist ein Rundgang durchs Biermuseum im Herzen der alten Stadt. Für beides empfiehlt sich eine Voranmeldung, wie auch für den Gang durch den Untergrund.

Über der Erde, in der europäischen Kulturhauptstadt 2015, führen alle Wege zum Platz der Republik mit dem gotischen Bartholomäus-Dom, dem Renaissance-Rathaus und der barocken Pestsäule. Zu Fuß geht es durch gepflasterte Gassen mit alt-ehrwürdigen Fassaden — und mittendrin liegt der Welt erste Pilsstube „Zum Salzmann“. Der damalige Fuhrmann Martin Salzmann hatte mit dem neuen Bier einen kleinen Ausschank eröffnet und bei einer Fuhre nach Prag seinem Geschäftsfreund Pinkas zwei Fässchen Pils zum Probieren mitgebracht. Pinkas war derart angetan, dass er in Prag ein Pils-Lokal gründete. Das erste von vielen.

Pilsen ist nicht ohne Grund europäische Kulturhauptstadt geworden. Die Stadt bietet Programm in zwei Theatern, hat ein Symphonieorchester und diverse Museen. Familien mit Kindern können einen ganzen spannenden Tag im „Techmania-Zentrum“ verbringen, einer ultramodernen Technik-Welt in einer alten Skoda-Fabrik, in der Junge und Ältere Naturwissenschaft auf spielerische Weise erfahren. Zum Beispiel was im Bauch eines Kleinkindes passiert ist, wenn ihm ein „Bäuerchen“ entfleucht.

Kommen wir noch einmal zurück zum Bier. Pilsen wäre nicht Pilsen, wenn die 168 000-Einwohner-Stadt nicht ihr bekanntestes Produkt feiern würde. In diesem Jahr verwandelt sich am 24. Juni, dem Gambrinustag, das Stadtzentrum in einen großen Biergarten. Am 7. Oktober ist Pilsener-Fest, eine musikalische Show auf dem Brauereigelände. Den ganzen Sommer hindurch wird an jedem Wochenende irgendein Stadtfest gefeiert. Mit reichlich Pils, versteht sich.

Und wem der Trink-Genuss nicht ausreicht, der kann sich auch reinlegen in den Hopfen-Sud. Die Mini-Brauerei Purkmistr (Bürgermeister) im Vorort Cernice bietet ein 20-minütiges Bier-Entspannungsbad (plus 20 Minuten Ausruhen) an. In vier gepflegten Badekabinen steht je eine Holzbadewanne mit duftendem Inhalt: 20 Liter Pils, 100 Liter Wasser, dazu gemahlene Gerste und ein wenig Bierhefe. Das Ganze 35 Grad warm — und mit einem Pils-Zapfhahn in Reichweite.

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