Die Wiege der Christbaumkugel

In der Stadt Lauscha erfanden Glasbläser einst die Christbaumkugel — heute können Besucher bei der Produktion zusehen.

Die Wiege der Christbaumkugel
Foto: Oliver Gerhard

Der Brenner faucht, der Feuerstrahl hüllt den Glaskolben ein, bringt ihn zum Glühen. Toni Weigelt dreht den dünnen, durchsichtigen Kolben an den Enden, dann bläst er hinein, dreht wieder in der bis zu 1300 Grad heißen Gasflamme, bläst erneut. Die jahrelange Erfahrung sagt dem Glasbläser, wann die Größe stimmt — und für den Fall der Fälle kann er den Rohling an das Maß halten, das vor ihm liegt.

Nun kommt der schwierigste Teil: Weigelt muss das Glas zur Glocke formen, mit einem Werkzeug aus verdichteter Kohle drückt er die weich gewordene Masse ins Innere der Kugel, dreht erneut, formt, bis die Glocke fertig ist. „Dabei entsteht viel Spannung an der Kante, das Glas kann brechen“, sagt Ines Zetzmann, Leiterin der Glasbläserei „Der Christbaum“ im thüringischen Lauscha. In der kleinen Stadt, die einst als Waldglashütte gegründet wurde, ist das ganze Jahr über Weihnachten — und das schon seit mehr als 150 Jahren: Dort wurde die Christbaumkugel erfunden.

Der Legende nach waren die Glasbläser Mitte des 19. Jahrhunderts so bettelarm, dass sie ihren Kindern nicht einmal ein paar Walnüsse oder Äpfel an den Weihnachtsbaum hängen konnten, wie es damals üblich war. Einer von ihnen soll daher Äpfel aus Glas geblasen haben, denn das Rohmaterial gab es zur Genüge — der Quarzsand kam aus den Bächen des Thüringer Waldes.

1847 tauchte der neue Baumschmuck zum ersten Mal in einem Katalog auf, später traten die hauchdünnen Kugeln ihren Siegeszug durch Amerika an. Kaiser Wilhelm ließ angeblich 1871 — Frankreich war besiegt — einen Weihnachtsbaum in Versailles damit schmücken. Heute läuft in Lauscha schon im Februar die Produktion an. Manche Weihnachtsläden in Skandinavien und Japan wollen ab April beliefert werden.

In vielen der Schiefer verkleideten Häuser des Ortes haben Werkstätten ihren Sitz, ein großer Teil der 3500 Einwohner hat noch eine der charakteristischen Gaslampen zuhause. Das Rohmaterial kommt aus der alteingesessenen Farbglashütte, in der Glasmacher mit meterlangen Stäben farbige Glasstangen produzieren. Besucher dürfen ihnen dabei über die Schulter sehen. Ines Zetzmann hat sich im Lauf der Jahre zu einer Weihnachtsbaum-Expertin entwickelt.

In ihrem Laden stehen geschmückte Bäume in Reih und Glied: von bürgerlich bunt mit vielen Figuren bis zu aristokratisch mit viel Silber. Gefragt sind nicht nur Kugeln, sondern auch figürlicher Baumschmuck. „Jede Figur hatte eine besondere Bedeutung“, sagt Zetzmann: Vogelfiguren sollen die Zugvögel zurücklocken, damit der Frühling wiederkommt. Tannenzapfen stehen für die Fruchtbarkeit der Natur. Glocken sollen die Familie vor Gefahr bewahren.

Und die Baumspitzen aus wilhelminischer Zeit erinnern an die preußische Pickelhaube. In den Tagen vor Weihnachten wird im Akkord gefertigt: Die Arbeiterinnen verspiegeln die geblasenen Kugeln von innen mit einer Silbersalzlösung, tauchen sie dann in Farbe und bemalen sie nach dem Trocknen mit Farben nach uralten Familienrezepturen. Als Hilfsmittel nutzen sie Pinsel aus Eichhörnchen-Schwanzspitzen, damit keine Streifen entstehen. Nebenan wird indessen weiter geblasen, der Gasbrenner faucht und die Flamme zischt um das glühende Glas.

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