100 Jahre Tschecho-Slowakei

Auf touristischer Spurensuche in zwei Ländern, die einmal eins sein sollten.

100 Jahre Tschecho-Slowakei
Foto: Czech Tourism

Dieses Jubiläum hat es in sich. Am 28. Oktober 1918, nach dem Zerfall der Monarchie Österreich-Ungarn, wurde im Gemeindehaus zu Prag die Tschechoslowakische Republik ausgerufen. Die hatte schmerzhafte Jahre zu erdulden, hat sich in jüngster Vergangenheit freiwillig in zwei gleichwertige EU-Staaten geteilt und gedenkt der Ersten Republik gemeinsam und dennoch individuell. Eine touristische Spurensuche beginnt an der Grenze. Keine Ausweiskontrolle, die Tschechische Republik und die Slowakei sind Schengen-Staaten. Aber die Sprachen: beide slawisch, miteinander verwandt, aber unterschiedlich. Und dann die Währung: Kronen in Tschechien und Euro in der Slowakei.

Reisende aus aller Welt bevölkern die Gassen der vom Krieg verschonten Metropole. Ein buntes Gewimmel auf der Karlsbrücke und auf dem Burgberg Hradschin, auf dem 1618 mit dem „Prager Fenstersturz“ der Dreißigjährige Krieg begann. Überhaupt haben Jahreszahlen mit einer 8 am Ende Hochkonjunktur. 1938 läutete das Münchner Abkommen das folgenreiche Ende der Republik ein, 1948 wurde das Land dem kommunistischen Ostblock einverleibt, und 1968 beendeten russische Panzer den „Prager Frühling“.

Im wunderschönen Jugendstil-Gemeindehaus stehen Werke der großen tschechischen Musiker auf dem Konzertplan der Prager Sinfoniker: etwa Smetanas „Mein Vaterland“ und Dvoraks „Aus der neuen Welt“. David Mareczek, Direktor der Tschechischen Philharmonie, ist stolz, ausschließlich Tschechen im 125-köpfigen Orchester zu haben: „Das bringt den Sound nah ans Original.“ Chefdirigent ist Semyon Bychkov, ein Amerikaner, in St. Petersburg geboren.

Wer Prags Innenstadt zu kennen glaubt, dem sei empfohlen, seine Schritte in die vielen Durchgänge und Passagen zu lenken. Da lässt sich auf den zweiten Blick Erstaunliches entdecken: zum Beispiel vom Wenzelsplatz aus, in der Passage des Lucerna-Kinos, eine lebensgroße Nachbildung des heiligen Wenzel auf dem Bauch seines toten Pferdes. Pure Ironie, aber gekonnt.

Zur zweiten Station, in die fast sieben Jahrhunderte habsburgische Stadt Brünn (Brno), gelangt man in zwei Stunden bequemer Zugfahrt. Brünn ist ruhiger als Prag, luftiger angelegt — und in Brünn ticken die Uhren anders. Im Dreißigjährigen Krieg, so die Sage, hatte der schwedische Feldherr Lennart Torstensson beim Vormarsch auf Wien die Stadt belagert. Ein pfiffiger Brünner hatte ihn belauscht: Wenn die Stadt bis Mittag nicht gefallen sei, wollten die Schweden weiterziehen. Daraufhin läuteten die Brünner schon um 11 Uhr die Glocken von Sankt Peter und Paul, und die Schweden machten einen Bogen um Brünn. Die Glocken läuten bis heute um 11 Uhr zu Mittag.

Brünn war von der Gotik bis zum Barock und zum Jugendstil zu allen Zeiten eine moderne Stadt. So war das Brünner „Deutsche Theater“ (jetzt Mahen-Theater) 1863 das erste Theater auf dem europäischen Kontinent, das voll elektrisch beleuchtet wurde. In den 1920er-Jahren gesellten sich Bauten des funktionalistischen Baustils hinzu: schnörkellose Komplexe, unten Geschäfte, Kinos, Banken, in der Mitte Büros, oben Wohnungen. Das funktioniert bis heute.

Station Nummer drei der Zeitreise ist Bratislava, das alte Pressburg, 300 Jahre lang Krönungsstadt ungarischer Könige aus dem Hause Habsburg und heute Hauptstadt der Slowakei. Von dort sind es nur 60 Kilometer bis nach Wien. Von der Donaubrücke mit dem markanten Ufo-Turm lässt sich die Grenze mit bloßem Auge erkennen. Die Nachbarn aus Österreich haben dort sage und schreibe 283 Windkrafträder aufgebaut.

Bratislava mit seinen Patrizierhäusern, Klöstern und Kirchen, dem Marktplatz und der Promenade, ist vom Anlegeplatz der Donau-Kreuzfahrtschiffe bequem in wenigen Minuten zu Fuß zu erreichen und hat sich dank des Euros in kurzer Zeit zu einem touristischen Hotspot entwickelt. Oben auf der Burg zeigt eine Ausstellung, wie es von 1918 bis zum Fall des Eisernen Vorhangs war. Und die „Scheidung“ der Slowakei von Tschechien vor 25 Jahren? „Wir haben ein besseres Verhältnis zueinander als je zuvor“, sagt Stadtführerin Elena.

Kaum mehr als zwölf Kilometer von der Hauptstadt entfernt liegt am Fuße der Kleinen Karpaten ein eher unscheinbares „Weinviertel“ mit den Orten Modra, Pezinok und Sväty Jur. Dort erzeugen engagierte Nebenerwerbswinzer mit viel Liebe und ohne chemische Hilfsmittel kleine Mengen weißer Weine, vor allem für sich selbst und die Nachbarschaft.

Zurück in Bratislava, haben am Abend die Bedienungen in den Freiluft-Lokalen und Kneipen alle Hände voll zu tun, ihre Gäste mit deftigen Speisen und Bier nach Pilsener Brauart zu versorgen. Und dort kommt auch noch einmal eine Glocke ins Spiel: Die läutete im Mittelalter die Sperrstunde ein, nach der ohne Licht niemand mehr die Gassen betreten durfte. Heute darf man bis Mitternacht draußen sitzen — bei gedämpfter Lautstärke und elektrischer Beleuchtung. Der Autor reiste mit Unterstützung von Czech Tourism.

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