Wenn Kinderzähne zerbröseln

Immer mehr Kinder im Grundschulalter leiden unter der mysteriösen Zahnkrankeit MIH.

Düsseldorf. Johanna (9) und Antonia (7) haben sich stets gut die Zähne geputzt. Die Milchzähne waren top, doch mit dem Durchbruch der bleibenden Zähne begannen die Probleme. Die Schneidezähne und die hinteren Backenzähne schmerzten und reagierten empfindlich auf Heißes und Kaltes. Die Hauszahnärztin entdeckte Verfärbungen und Anomalien des Zahnschmelzes und schickte die beiden Schwestern in die Spezialambulanz des Universitätsklinikums Freiburg. Die Leiterin Stefanie Feierabend diagnostizierte eine Krankheit, die der Forschung bislang Rätsel aufgibt, die aber weit verbreitet ist. Der Name: Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation, kurz MIH.

Bestimmte bleibende Zähne, vor allem Backenzähne (Molaren) und Schneidezähne (Inzisiven), sind nicht ausreichend mineralisiert. In schweren Ausprägungen, wie bei Johanna und Antonia, ist der Zahnschmelz dadurch so stark geschädigt, dass er den Zahn nicht schützen kann und teilweise regelrecht abbröckelt. Die Zähne sind extrem empfindlich.

Das Problem: Die Prognose ist nicht gut und die Krankheit nicht heilbar. Man kann sie auch nicht verhindern, da die Ursachen unklar sind. Und sie ist nicht selten. Eine aktuelle Untersuchung der Uniklinik Greifswald an über 50 Grundschulen in vier Städten ergab eine durchschnittliche Verbreitung von zehn Prozent, in Düsseldorf waren sogar 14 Prozent der Kinder betroffen. „Im Schnitt sind also in jeder Klasse drei Kinder betroffen, davon eines schwer“, sagt Christian Splieth, Professor für Kinderzahnheilkunde an der Uni Greifswald.

Für Eltern ist das oft ein Schock, denn die Kinder haben meist ganz gesunde Milchzähne. „Viele machen sich Vorwürfe“, weiß Splieth, „aber dafür gibt es keinen Grund.“ Denn die betroffenen Zähne sind bereits geschädigt, bevor sie überhaupt durchbrechen. Da der komplexe Vorgang der Zahn-Entstehung bereits im Mutterleib beginnt, findet bei einigen Zähnen auch die Bildung von Zahnschmelz während der Schwangerschaft statt, etwa bei den ersten bleibenden Backenzähnen.

Eine Vorbeugung durch gute Mundhygiene ist also nicht möglich. Ob die MIH eine neue Erkrankung ist, ist allerdings umstritten. Früher fiel sie zwar kaum auf, weil Kinder früher noch mehr Karies hatten und Schmelzschädigungen vielleicht als Zahnfäule gedeutet wurden. Dennoch wird vermutet, dass die Krankheit in den letzten Jahren verstärkt auftritt.

Vieles wurde bereits als Ursache angenommen: Sauerstoffmangel bei der Geburt, Kinderkrankheiten, zu langes Stillen (weil es die Aufnahme von Dioxin aus der Umwelt fördern kann), die in Kunststoffen enthaltene Chemikalie Bisphenol A oder die Einnahme von Antibiotika. Bei der Untersuchung der Grundschulkinder in Greifswald, Heidelberg, Düsseldorf und Hamburg ergab jedoch ein Vergleich mit dem regionalen Antibiotika-Konsum keinen Zusammenhang.

In schweren Fällen muss die hypomineralisierte Zahnhartsubstanz entfernt werden. Die Zähne werden also abgeschliffen und mit sehr dünnem, glasfaserverstärktem Komposit überkront. Meist lässt damit die unangenehme Überempfindlichkeit der Zähne schlagartig nach. Zähne, die nicht so stark geschädigt sind, können mit Fluoridlacken geschützt werden. Füllungen halten jedoch in solchen Zähnen anschließend nur noch sehr schlecht.

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