Kontroverse um die Helmpflicht

Professor hält den Schaden des Kopfschutzes für größer als den Nutzen. Kritiker bwerten die Kalkulation als zynisch.

Kontroverse um die Helmpflicht
Foto: dpa

Düsseldorf. Eine Helmpflicht in Deutschland würde aus gesamtgesellschaftlicher Sicht mehr schaden als nutzen — diese These ist das Ergebnis einer Studie, die Gernot Sieg, Professor der Universität Münster veröffentlicht hat und die nicht bei jedem auf Gegenliebe stößt. Auf Anfrage unserer Zeitung äußerte sich der Forscher nicht zu seiner Arbeit — er sei zu beschäftigt, ließ er ausrichten.

Zu dem Ergebnis kam der Leiter des Lehrstuhls für Industrieökonomik, Infrastruktur- und Verkehrsökonomik, in dem er Faktoren wie die deutsche Helmtragequote von 13 Prozent, die durchschnittlich zurückgelegten Kilometer sowie Verletzungs- und Todeszahlen zugrunde legte. Aber auch weniger Greifbares wie die Annahme, dass einige Menschen bei einer Helmpflicht lieber auf ihr Fahrrad verzichten würden, hat der Forscher berücksichtigt.

Sieg bestreitet nicht, dass ein Fahrradhelm bei einem Unfall vor schweren Verletzungen schützt — aber eben nicht bei jedem. Laut Statistik würde jeder zweite an einer Kopfverletzung verstorbene Radler noch leben, wenn er einen Helm getragen hätte. Der Forscher beruft sich außerdem auf Zahlen der Weltgesundheitsorganisation: Diese beziffere den Wert eines Lebens in Westeuropa statistisch mit rund 1,6 Millionen Euro. Eine schwere Verletzung schlage mit rund 200 000 Euro zu Buche.

Lassen Menschen das Rad wegen der Helmpflicht stehen und nutzen andere Verkehrsmittel, erhöhten sich sowohl die Umwelt- als auch seine Gesundheitskosten, argumentiert Sieg. Dazu addiert der Forscher die Anschaffungskosten für die Helme: Für ganz Deutschland lägen die bei 315 Millionen Euro. Nach Abwägung von Kosten und Nutzen kommt er auf ein Minus von 278 Millionen Euro pro Jahr bei Einführung einer Helmpflicht. Der Forscher rät daher von einem gleichlautenden Gesetz ab. Sinnvoll sei, die Infrastruktur zu verbessern, um das Radfahren sicherer zu machen, schreibt er.

Diese Kalkulation, die den Wert von Menschenleben in Euro umrechnet, ist es, die die ZNS — Hannelore Kohl Stiftung massiv kritisiert. Die Studie sei „zynisch“ und „schwer zu ertragen“ lässt die Organisation auf ihrer Homepage verlauten. „Kennt man die dramatischen Auswirkungen, die Schädelhirnverletzungen mit sich bringen, ist ihre Vermeidung oder die Reduzierung des Schweregrads der Verletzung jeden Aufwand wert“, kommentierte Stiftungsvorsitzender Joachim Breuer.

Welche Folgen ein Sturz mit dem Rad ohne Helm haben kann, weiß Chefarzt Clayton Kraft, Direktor der Orthopädie, Unfall- und Handchirurgie an der Helios Privatklinik Krefeld. Bei Schürfwunden, Prellungen und kleineren Frakturen — die den Großteil der Verletzungen ausmachten — biete der Helm zwar keinen Schutz. Deutlich schwerwiegender seien aber die seltener auftretenden Kopfverletzungen, die im schlimmsten Fall zum Tod des Verunglückten führen könnten. „Der Schutz eines solch zentralen Organs macht daher aus medizinischer Sicht absolut Sinn“, sagt Kraft.

Rückenwind bekommt Sieg indes vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) in Nordrhein-Westfalen. Dieser spricht sich seit langem gegen eine Helmpflicht aus. „Die Studie unterstützt unsere Meinung, dass eine Pflicht eher dazu führt, keinen Helm zu tragen“, sagt Thomas Rommelspacher, Sprecher des Clubs in NRW. Der Club setze auf einen mündigen Bürger, der sich selbst für das Tragen eines Helmes entscheide. Eine gesetzliche Pflicht sende ein falsches Signal: Fahrradfahren sei nicht gefährlich, sondern ist im Vergleich mit anderen Verkehrsmitteln sicher. Kinder sollten jedoch unbedingt einen Helm tragen, rät der Verein: Sie seien unerfahren im Straßenverkehr und im Umgang mit dem Rad und würden leicht übersehen. „Da raten wir dringend zu einem Helm.“

Die ganze Studie von Gernot Sieg: http://bit.ly/1fMGHj3

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