Interview: Pflichtteil – was das bedeutet

Bestimmten nahestehenden Personen bleibt ein Teil vom Nachlass – auch wenn man ihnen nichts gönnt.

Wuppertal. Eltern können ihre Kinder enterben - indem sie sich gegenseitig als Alleinerben einsetzen. Doch die Kinder haben dann immer noch einen Anspruch auf den Pflichtteil. Dieser ist aber deutlich geringer als das, was ihnen nach der gesetzlichen Erbfolge zustehen würde - wenn die Eltern also kein Testament gemacht hätten. Wie das mit dem Pflichtteil im einzelnen funktioniert, darüber sprachen wir mit dem Wuppertaler Notar und Erbrechtsexperten Henrich Fabis.

Fabis: Nehmen wir an, Frau Müller ist verwitwet und hat zwei Töchter. Tochter Karin kümmert sich intensiv um die Mutter; zu Tochter Gabi besteht kein Kontakt. Frau Müller setzt Karin durch ihr Testament zur Alleinerbin ein. Gabi hat im Erbfall dann nur einen Pflichtteilsanspruch. Der beträgt die Hälfte von Gabis gesetzlichem Erbteil.

Fabis: Wenn Frau Müller kein Testament gemacht hätte, dann hätten beide Töchter je zur Hälfte geerbt. Nun aber bekommt Gabi nur die Hälfte von dieser Hälfte, also ein Viertel des Nachlasses.

Fabis: Pflichtteilsberechtigt ist auch der Ehepartner des Erblassers oder ein eingetragener Lebenspartner. Und, wie im Beispielsfall erwähnt, die Kinder. Wenn im Zeitpunkt des Erbfalls keine Kinder mehr leben, sind auch Enkel und Urenkel pflichtteilsberechtigt.

Sind beim Tod des Erblassers gar keine Abkömmlinge vorhanden, haben die Eltern des Erblassers einen Pflichtteilsanspruch. Geschwister des Erblassers sind dagegen nicht pflichtteilsberechtigt.

Fabis: Das erlaubt das Gesetz nur in besonderen Ausnahmefällen: Wenn der Pflichtteilsberechtigte dem Erblasser nach dem Leben trachtet, sich eines Verbrechens oder schweren Vergehens gegen diesen schuldig gemacht hat oder wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist.

Eine Pflichtteilsentziehung ist auch bei böswilliger Verletzung der Unterhaltspflicht möglich. Die Regelung ist durch die Erbrechtsreform vereinfacht worden; sie greift in der Praxis aber nur in Ausnahmefällen. Den bisherigen Entziehungsgrund des "ehrlosen und unsittlichen Lebenswandels" gibt es seit Januar nicht mehr.

Fabis: Die Vorfälle, auf denen die Pflichtteilsentziehung beruht, müssen im Testament möglichst genau wiedergegeben werden. Anderenfalls hat die Pflichtteilsentziehung vor Gericht möglicherweise keinen Bestand.

Fabis: Ist die Schenkung innerhalb von zehn Jahren vor dem Tod des Erblassers erfolgt, gibt es einen Pflichtteilsergänzungsanspruch. Damit wird der Pflichtteilsberechtigte im Erbfall so gestellt, als ob der verschenkte Gegenstand noch im Vermögen des Erblassers wäre. Allerdings vermindert sich nach der seit Januar geltenden neuen Gesetzeslage die Höhe des Anspruchs jedes Jahr um 10 Prozent.

Tritt der Erbfall im ersten Jahr nach der Schenkung ein, so ist der Wert der Schenkung voll zu berücksichtigen; im zweiten Jahr noch mit neun Zehnteln und so weiter. Nach Ablauf der Zehnjahresfrist entfällt der Anspruch vollständig. Wenn sich im Nachlass kein ausreichendes Vermögen befindet, kann der Anspruch auch gegen den Beschenkten geltend gemacht werden.

Fabis: Da lässt sich nur raten, den Zeitpunkt der Schenkung nicht zu spät zu wählen. Durch rechtzeitige Schenkung kann das Risiko von Pflichtteilsergänzungsansprüchen gesenkt werden. Wenn die nicht beschenkten Kinder mit der Schenkung einverstanden sind, sollten sie durch notariellen Vertrag auf ihre Ansprüche zum Beispiel gegen eine Abfindung verzichten. Das vermeidet späteren Streit in der Familie.

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