Handy-Fallen: Alptraum statt Traumpartner

Sechs Betreiber von SMS-Chats sollen bundesweit rund 700 000 Handy-Nutzer geschädigt haben.

Kiel. Die Leute suchten per SMS-Chat ihren Traumpartner, doch sie wurden abgezockt: Über ein Firmengeflecht von 350 Unternehmen im In- und Ausland sollen die Chat-Betreiber ihre Kunden um mehr als 46 Millionen Euro betrogen haben. Seit Donnerstag stehen deswegen drei mutmaßliche Betrüger und drei Strohmänner vor dem Kieler Landgericht. Bundesweit sollen sie rund 700 000 Handy-Nutzer geschädigt haben. Die Anklage wirft ihnen gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen Bandenbetrug oder Beihilfe dazu vor. Die sechs Hauptangeklagten schwiegen am ersten Prozesstag zur Anklage. Stattdessen bombardierten ihre Anwälte das Gericht über Stunden mit Anträgen.

Die Staatsanwältinnen sehen drei Angeklagte als Drahtzieher. Sie werfen ihnen vor, von Flensburg und Kiel aus mit dem Firmengeflecht die Kunden bewusst getäuscht zu haben. Unter diesem Verdacht sitzen die drei seit Dezember 2008 in Untersuchungshaft. Die drei anderen Angeklagten sollen Beihilfe zur Verschleierung geleistet haben.

Im Kern geht es in dem Verfahren darum, ob die Kunden vorsätzlich über die fiktive Identität ihrer Chat-Partner getäuscht wurden - das wäre laut Anklage Betrug. Oder hätten sie wissen müssen, dass der Chat-Partner am anderen Ende gar nicht existiert, sondern kostenpflichtige Dienstleistungen bietet?

Die Staatsanwältinnen schilderten, wie das Betrugs-System funktioniert haben soll. Die Kunden seien durch Anzeigen in kleinen Lokalzeitungen, Lock-Mails oder massenhaft verschickte Spam-sms dazu verleitet worden, über teure Kurzwahl-Rufnummern mit möglichen Partnern im Chat zu flirten. Eine Frau soll innerhalb von acht Monaten mehr als 25 000 Euro für 12 621 SMS gezahlt haben.

Den Kunden antworteten aber keine realen Partner, sondern gut geschulte, professionelle Animateure mit fiktiven Identitäten. Diese wurden überwacht und mit Prämien belohnt, wenn sie das erklärte Geschäftsziel erreichten. "Die Kunden zum Versenden möglichst vieler kostenpflichtiger SMS zu verleiten", so die Anklage.

Pro SMS an die Kurzwahl-Nummern wurden 1,99 Euro fällig. Aufgabe der Animateure: "Den Kunden dazu bringen, sich zu verlieben und hierdurch eine möglichst rege und langandauernde Kommunikation zu erreichen", erklärten die Staatsanwältinnen. Dazu vereinbarten die Animateure mehrfach sogar richtige Treffen. Die Kunden hätten jedoch nichts geahnt und vergeblich am Treffpunkt gewartet.

Die großen Netzbetreiber kassierten laut Anklage zwischen 50 Cent und 1,10 Euro pro SMS. Sie hätten auch den Kunden die gesendeten SMS in Rechnung gestellt, ihren Anteil einbehalten und den Rest an die Betreiber überwiesen.

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