Demenz: Mehr Geld für die Pflege

Viele Erkrankte gehen in der Regel leer aus. Das soll sich ändern: Ab 1. Juli haben sie Anspruch auf Hilfe.

Essen. Es gibt Momente, da ist sie ganz klar. Dann kocht sich die Mutter allein ihren Kaffee und erzählt, was sie am Tag erledigen möchte. Plötzlich aber rennt sie in Hausschuhen auf die Straße. Ihre Tochter muss dann schnell zur Stelle sein, damit nichts passiert.

Da bei Demenzkranken immer etwas passieren kann, betreuen viele Angehörige sie rund um die Uhr, obwohl sie eigentlich noch viel selbst erledigen können. In solchen Fällen zahlt die Pflegeversicherung bislang nicht oder nur einen sehr geringen Satz - schließlich sind die Demenzkranken nicht im eigentlichen Sinne pflegebedürftig. Das ändert sich jetzt: Demenzkranke haben künftig früher Anspruch auf Unterstützung - und auf mehr Geld.

Die Pflegereform, die am 1. Juli in Kraft tritt, verbessert die Ansprüche von Demenzkranken: Bislang erhalten sie nur dann Leistungen aus der Pflegeversicherung, wenn sie mindestens in Pflegestufe eins eingestuft wurden.

Daneben kann ein Betreuungsbetrag von jährlich 460 Euro gewährt werden, wenn bei einer Person ein "erheblicher allgemeiner Betreuungsbedarf" festgestellt wurde. Viele Demenzkranke gehen bei dieser Regelung aber leer aus - sie erfüllen nicht die Voraussetzung für die Pflegestufe.

Das ist künftig auch nicht mehr notwendig: "Der Kreis der Berechtigten wird erweitert", erklärt Peter Pick aus Essen, Geschäftsführer des Medizinischen Dienstes. Personen mit einer eingeschränkten Alltagskompetenz hätten künftig unabhängig von der Anerkennung einer Pflegestufe Anspruch auf Unterstützung. Außerdem steigt der Betrag von 460 Euro auf 1200 beziehungsweise 2400 Euro im Jahr - je nach Ausprägung der Krankheit.

Um an dieses Geld zu gelangen, müssen die Demenzkranken oder ihre Angehörigen einen Antrag bei ihrer Pflegekasse stellen. "Wir empfehlen, sich vorher mit dem Hausarzt zu beraten, ob der Antrag Aussicht auf Erfolg hat", sagt Christine Sowinski, Pflegereferentin beim Kuratorium Deutsche Altershilfe (kda).

Die Pflegekasse entscheidet zusammen mit dem Medizinischen Dienst über den Antrag. "Wenn es schon Unterlagen aus einer Begutachtung gibt, können die ausreichen", sagt Pick. Ist das nicht der Fall, kommt ein Gutachter des Medizinischen Dienstes zu den Betroffenen nach Hause.

Ob ein "erheblicher allgemeiner Betreuungsbedarf" vorliegt, wird anhand eines Kriterienkatalogs bestimmt. Darin sind 13 Einzelaspekte wie "Unkontrolliertes Verlassen des Wohnbereichs", "Verkennen oder Verursachen gefährdender Situationen" oder "Tätlich oder verbal aggressives Verhalten in Verkennung der Situation" in zwei Bereichen zusammengefasst.

Es müssen zwei Aspekte aus den unterschiedlichen Bereichen erfüllt sein, um Anspruch auf monatlich 100 Euro zu haben, erläutert Pick. Sind es drei Aspekte, allerdings nur bestimmte, liegt ein "erhöhter Betreuungsbedarf" vor und es gibt 200 Euro im Monat.

Bei der Begutachtung sind die Angehörigen anwesend. Ihre Aussagen spielen eine wichtige Rolle. "Den Demenzkranken ist die Situation häufig unangenehm, und sie versuchen, sich besser darzustellen", sagt Sabine Jansen, Geschäftsführerin der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Damit die Angehörigen möglichst konkret sagen können, wie der Alltag tatsächlich aussieht, sollten sie ein Pflegetagebuch führen.

Bei Menschen mit einer diagnostizierten Demenz sei die Chance sehr groß, dass sie monatlich 100 Euro bekommen, sagt Pick. "Und alle, die bereits die 460 Euro im Jahr erhalten, bekommen die 100 Euro automatisch." Für den erhöhten Betrag müssen aber auch sie einen Antrag stellen.

Bei einer Anerkennung wird das Geld rückwirkend vom Tag der Antragstellung an gewährt, sagt Jansen. Der Betrag wird den Demenzkranken aber nicht ausgezahlt. "Damit sollen Entlastungs- und Betreuungsleistungen finanziert werden." Das sind Angebote der Tages-, Nacht- und Kurzzeitpflege oder Betreuungsgruppen und Helferinnenkreise.

Entweder rechnen die Anbieter direkt mit der Pflegekasse ab, oder sie stellen eine Rechnung aus, die die Angehörigen dann bei der Pflegeversicherung einreichen, sagt Pick. Benötigen die Pflegenden in einem Monat keine Hilfe, können sie das Geld ansammeln - um zum Beispiel in Urlaub zu fahren

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