Ammen-Dornfinger-Spinne weniger gefährlich als gedacht

Berlin (dpa) - Zugegeben, sie sehen nicht gerade freundlich aus. Ammen-Dornfinger-Spinnen haben im Vergleich zu vielen anderen Spinnen gut sichtbare Kieferklauen und - oh Schreck: Ein Teil ihres Körpers leuchtet in den Warnfarben Rot und Orange.

Ammen-Dornfinger-Spinne weniger gefährlich als gedacht
Foto: dpa

An Berichten über diese Tierchen und ihre Bisse kommen vor allem Berliner und Brandenburger seit kurzem kaum vorbei. Einige Medien berichten von einer zunehmenden Verbreitung dieser Spinnen in der Region durch den Klimawandel. Ursprünglich kommen sie aus dem Mittelmeerraum.

In den sozialen Medien gehen die meist mit der Spinne bebilderten Warnungen um: Seid vorsichtig beim Laufen und Entspannen im Gras, heißt es da zum Beispiel. Denn der Ammen-Dornfinger beiße selbst durch Jeans hindurch, er sei gefährlich und ganz stark auf dem Vormarsch, selbst in der Hauptstadt. Ein Twitter-Nutzer, der sich in den Urlaub verabschiedet, schreibt ironisch, nach seiner Rückkehr werde hier wohl keiner mehr leben.

Experten betonen auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur, diese Spinnen seien auch anderswo in Deutschland verbreitet - in Gebieten mit hohem Gras. Und das nicht erst seit gestern. Sie sind aufgebracht angesichts der Hysterie, die sich in die Debatte mischt.

Seinen ersten Ammen-Dornfinger hat der Berliner Insektenkundler Jens Esser von der Entomologischen Gesellschaft „Orion“ vor etlichen Jahren in Berlin-Mitte auf einer Brache entdeckt. Damals wusste er nicht unmittelbar, was er da vor sich hatte. Inzwischen hat er die Tierchen häufig gesichtet und auch ab und an ein Exemplar für einen Spinnenexperten eingesammelt. Seit mindestens zehn Jahren sei das Vorkommen in Berlin dokumentiert, betont er.

In der Mark ist der Ammen-Dornfinger Naturschützern zufolge schon weitaus länger zuhause: Seit den 1950ern breite er sich aus, twitterte der Brandenburger Nabu nun über den „schüchternen Wandersburschen“.

Esser hat Kinder über Wiesen voller Gespinste von Ammen-Dornfinger-Spinnen rennen sehen. Gebissen wurden weder er bei seiner Feldforschung noch die Kinder, wie er sagt. Man müsse es schon darauf anlegen und eines der gut erkennbaren Gespinste bewusst öffnen, um gebissen zu werden. Darin befinden sich die Spinneneier.

„Das ist Mutti, die ihre Kinder verteidigt“, macht es Biologe und Spinnenfachmann Karl-Hinrich Kielhorn anschaulich. Beim Vorbeigehen im Gras gebissen zu werden, halten Experten für ein sehr unwahrscheinliches Szenario. Und selbst wenn: „Dann tut das weh, der Finger wird dick und in zwei Tagen ist es wieder vorbei“, sagte Kielhorn. Nur in Ausnahmen reagieren Menschen heftiger, etwa mit Kreislaufproblemen.

In den sozialen Medien gibt es neben Panik auch andere Stimmen: Sie verweisen auf das Sommerloch. Tatsächlich erinnert der Spinnenalarm an andere Tiere, die in früheren Sommern Schlagzeilen machten: Kaiman Sammy, Beiname „Bestie aus dem Baggersee“ (1994). Oder „Problembär“ Bruno, eingewandert 2006 von Tirol nach Bayern. Ebenfalls 2006 erschien bereits ein Zeitungsartikel unter dem Titel „Invasion der Todesspinne“: Es ging - Überraschung - um den „gefährlichen Dornfinger“, der „jetzt“ überall auftauche und zubeiße.

Dass derartige Berichte damals zahlreich waren, blieb nicht ohne Folgen, wie es in einem Fachartikel heißt. „Plötzlich hielten sich viele Personen als Opfer dieser Spinnen. Krankenhäuser, zoologische Institute, Museen und andere Anlaufstellen waren durch Spinnenbiss-Anfragen in Österreich und Deutschland überlastet“, schrieb die Wissenschaftlerin Barbara Knoflach von der Universität Innsbruck in einem entomologischen Fachblatt.

Grund für die anhaltende Beliebtheit des Themas ist für den Biologen Kielhorn die diffuse - und in seinen Augen hierzulande völlig ungerechtfertigte - Angst vor Spinnen in der Bevölkerung. Diese auch noch zu nähren, findet er „unverantwortlich“.

„Bis auf wenige in Mitteleuropa beheimatete Arten lähmen und töten alle Spinnen mit Gift“, zitiert die „Märkische Allgemeine Zeitung“ die Fachärztin für Dermatologie und Venerologie Sylvia Voss. Auch für weitaus verbreitetere und häufiger zustechende Insekten trifft das zu: Wer aber würde wie von den Giftspinnen auch von Giftbienen oder -wespen sprechen?

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort