Hier entsteht in NRW die Energie

Nordrhein-Westfalen ist das Energieland Nummer eins. Doch Experten kritisieren veraltete Strukturen. Die Zahlen imponieren und alarmieren.

Düsseldorf. Nordrhein-Westfalen ist in Deutschland das Energieland Nummer eins. Sowohl was die Energieerzeugung, den Verbrauch aber auch den Nachholbedarf bei der Energiewende betrifft. Denn traditionell ist NRW nicht nur mit den klassischen Industriezweigen verbunden, sondern auch mit dem klassischen Energieträger Kohle, egal ob schwarz oder braun. Doch immer stärker rücken auch die alternativen Energiequellen in den Fokus. Ein Überblick:

In Nordrhein-Westfalen wird mit Abstand der meiste Strom erzeugt. Die aktuellsten vergleichbaren Zahlen stammen laut Statistischem Bundesamt allerdings aus dem Jahr 2010. Danach wurden in NRW in jenem Jahr mehr als 178 Terawattstunden (TWh) erzeugt — wobei Tera für eine Milliarde Kilowattstunden steht.

Der nächstgrößte Erzeuger ist der Freistaat Bayern, mit rund 92 TWh, also nur knapp der Hälfte der NRW-Leistung, gefolgt von Baden-Württemberg (59 TWh). Auch zum bundesweiten Wert nimmt NRW eine Sonderstellung ein: Obwohl das Land mit 17,8 Millionen Einwohnern rund 22 Prozent der Bevölkerung stellt, erzeugt es rund 29 Prozent der bundesweiten Gesamtleistung von mehr als 600 TWh.

Von den 2011 in Nordrhein-Westfalen erzeugten 175,7 TWh wurden rund 125 TWh auch im Land verbraucht. Nicht einmal ein Viertel entfällt davon auf die privaten Haushalte (29,7 TWh) und den Verkehr (1,7 TWh) zusammen. Hauptnutzer ist die Industrie mit 60,8 TWh, die restlichen 32,8 TWh enfallen auf Gewerbe, Handel und Dienstleister.

Nordrhein-Westfalens herausgehobene Stellung als Energie- und Industrieland zeigt auch der Bundesvergleich. Von den bundesweit rund 220 TWh, die die Industrie verbraucht, entfallen gut 28 Prozent auf die Standorte in NRW, obwohl das Land nicht einmal zehn Prozent der Fläche der gesamten Bundesrepublik ausmacht.

Zumindest in einem Punkt ist Nordrhein-Westfalen von den energiepolitischen Entscheidungen der vergangenen Jahre nicht betroffen gewesen: Das Aus für die Kernenergie trifft das Land nicht mehr. Die drei Meiler Jülich, Hamm-Uentrop und Würgassen wurden bereits zwischen 1988 und 1994 stillgelegt und befinden sich teilweise im Rückbau.

Stark ausgebaut ist hingegen die Stromerzeugung aus Steinkohle (51 TWh im Jahr 2011) und Braunkohle (76,7) — jeweils in etwa die Hälfte des gesamten Bundesaufkommens. Erdgas und Mineralöl (25,3), die erneuerbaren Energien (13,6) sowie die Sonstigen (8,7) zu denen Grubengase und Pumpspeicherwasser gehören, liegen in NRW weit dahinter zurück. Zum Vergleich: Bayern verzichtet fast ganz auf Kohle, generiert dafür mehr als die Hälfte seiner Energie aus Kernkraft und weit mehr als ein Viertel aus erneuerbaren Energieträgern.

Selbst das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz in NRW sagt: „Die Potenziale der erneuerbaren Energien sind in NRW noch nicht ausgeschöpft.“ Nach den Plänen der Landesregierung soll beispielsweise der Anteil der Windenergie an der Stromversorgung von aktuell rund vier Prozent auf 15 Prozent im Jahr 2020 gesteigert werden. Doch bislang zeigt sich auf der Karte des Landes eindeutig, dass die fossilen Energien an Rhein und Ruhr — Braunkohle westlich des Rheins, Steinkohle rund um Dortmund — zuhause sind, während Wind-, Sonnen- und Biogasanlagen bislang vor allem in den Landkreisen im Norden und in Westfalen ausgebaut werden.

Das Internationale Wirtschaftsforum Regenerative Energien (IWR) mit Sitz in Münster analysiert für NRW: „Derzeit sind vor allem die Entwicklungen in den Bereichen Netzausbau, Speicher- und Elektromobilität bedeutsam.“

Für Energieexperten gehört NRW zu den großen Verlierern der Energiewende. So kritisiert Claudia Kemfert, Professorin für Energieökonomie und Expertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, dass man an Rhein und Ruhr viel zu lang auf konventionelle Energien gesetzt habe. Weil erneuerbare Energien bundesweit aber so massiv ausgebaut wurden, sind die alten Energieträger wie Kohle und Gas nicht mehr rentabel.

Das Dilemma zeigt sich nun auch in der Debatte um das vorgezogene Aus für den Braunkohle-Tagebau am Niederrhein. Dass diese so hitzig geführt wird, hat vor allem einen Grund: Neben den vielen Vorteilen für den endgültigen Stopp der gigantischen Bagger stünde auch das Aus für Tausende Stellen. Arbeitsplätze, die der Düsseldorfer Landesregierung unter SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft sehr am Herzen liegen.

Die Verbraucher in NRW kommt die Energiewende bislang teuer zu stehen: Insgesamt zahlen die Millionen Haushalte im Land rund 3,3 Milliarden Euro durch die Öko-Umlage pro Jahr, die das Erneuerbare-Energien-Gesetz festlegt. Im kommenden Jahr wird der Anteil pro Kilowattstunde sogar von 5,28 Cent auf 6,24 Cent steigen, um den Einspeisern, zum Beispiel mit einer Solaranlage, die garantierte Vergütung zu ermöglichen.

Doch im Bundesvergleich gibt es davon in Nordrhein-Westfalen anteilig gar nicht so viele wie in anderen Bundesländern. Die Folgen: Nur 1,3 Milliarden Euro fließen auch an Einspeiser, also zum Beispiel Menschen mit einer Solaranlage auf dem heimischen Dach, nachNordrhein-Westfalen zurück. Faktisch subventionieren die Verbraucher in NRW also damit die alternativen Energien in anderen Bundesländern — allen voran den Freistaat Bayern.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort