Interview Mit Babys auf dem Weg zur Sprache

Essen. „Trarira, der Sommer, der ist da“, singen die Mütter, während ihre Kinder im Sand spielen. Auf den ersten Blick sieht der Zwergensprache-Kurs wie ein Krabbelkurs aus. Das Besondere dabei ist aber: Die Mütter — und Kinder — lernen Gebärden zu Wörtern.

Kursleiterin Claudia Spelz zeigt Daniela Laaks und Helena (11 Monate), Meike Gendrullis und Noah (9 Monate), Susanna Keye und June (vorne, 12Monate) und Ida(12 Monate) das Zeichen für „Förmchen“ (v.l.).

Kursleiterin Claudia Spelz zeigt Daniela Laaks und Helena (11 Monate), Meike Gendrullis und Noah (9 Monate), Susanna Keye und June (vorne, 12Monate) und Ida(12 Monate) das Zeichen für „Förmchen“ (v.l.).

Foto: Frauke Komander

So zeigen sie zu dem Lied auch das Zeichen für „Sommer“. Die Babys wuseln durcheinander. Noah interessiert sich eher für den Sand, während June fleißig die Gebärde für „mehr“ oder „noch einmal“ zeigen kann. Ein Gespräch mit der Expertin Claudia Spelz zwischen Sand, Förmchen und Eimer.

Ab wann kann man mit einem Baby Gebärden lernen?
Claudia Spelz:
Wenn die Kinder etwa ein halbes Jahr alt sind, lernen sie ihre Hände zu koordinieren und wissen, dass jedes Ding einen eigenen Namen hat. Jedes Kind ist allerdings anders, deswegen gibt es kein „zu früh“ und kein „zu spät“. Auch mit anderthalb Jahren können Kinder noch nicht alle Worte aussprechen und können dann hierfür Gebärden benutzen. Und wenn man leise sein muss oder eine Fensterscheibe dazwischen ist, kann man Gebärden auch gut nutzen.

Zwergensprache - Claudia Spelz zeigt einige Gebärden
10 Bilder

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Welche Zeichen lernen Eltern und Kinder in dem Kurs?
Spelz:
Das ist eine breite Palette an Zeichen, die man im Alltag häufig einbauen und wiederholen kann. Zum Beispiel zeigen wir die Gebärden für „Essen“, „Schlafen“, „Windel“, „Mehr“, aber auch für Haustiere und verschiedene Spielsachen.

Wie werden die Gebärden vermittelt?
Spelz:
In erster Linie sind in den Kursen die Eltern angesprochen, und es ist dann ihre Sache, die Gebärden zu Hause zu wiederholen. Wir nutzen Lieder, Fingerspiele und Reime für die Vermittlung.

Kommen die Gebärden aus der Deutschen Gebärdensprache (DGS)?
Spelz:
Die Gebärden sind aus der Deutschen Gebärdensprache entnommen, aber es gibt Ausnahmen. Wir haben zum Beispiel die Gebärde für „Keks“ der amerikanischen Gebärdensprache entnommen, weil sie dem Wort „Essen“ sehr ähnlich ist und deswegen eine Verwechslungsgefahr besteht. Gehörlose sprechen mit Kindern auf einem anderem, einfacheren Niveau — das ist wie bei Hörenden, die mit Kindern ebenfalls leichtere Worte benutzen. So wird zum Beispiel auch bei unseren Kursen die Gebärde für „Milch“ nicht mit zwei, sondern nur mit einer Hand ausgeführt.

Welche Lieder verwenden Sie?
Spelz:
Hauptsächlich traditionelle Lieder, die jeder kennt: „Alle meine Entchen“ oder „Zeigt her eure Füße“. Wir haben sie teilweise umgedichtet, um mehr Varianten hinein zu bringen.

Wie viele Zeichen lernt man denn so in einem Kurs?
Spelz:
In einem Anfängerkurs etwa 70 bis 80, das heißt etwa sechs bis acht pro Stunde. Die Stunden sind thematisch gegliedert, aber in glaube, dass in meinen Kursen viel mehr Gebärden vermittelt werden. Denn es kommen immer wieder Fragen auf — zum Beispiel bei den Haustieren. Normalerweise sind das Hase, Katze, Hund oder Pferd. Eine Teilnehmerin fragt aber, was die Gebärde für „Bartagame“ ist. Da musste ich bei meinen Kollegen nachfragen. Viele Kinder essen gerne Bananen und Äpfel, aber manche mögen Mango oder Trauben lieber. Dann zeige ich den Eltern eben diese Gebärden.

Wo gibt es die Kurse?
Spelz:
In Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt es 150 Kursleiter, in Nordrhein-Westfalen 14. Sie haben unterschiedliche Angebote, von Workshops über regelmäßige Kurse. Zum Beispiel werden Kurse in Essen, Oberhausen, Köln, Witten, Dortmund, Bochum und Dinslaken angeboten.

Der Trend kommt aus Amerika — seit wann ist er hier verbreitet?
Spelz:
Unser Angebot gibt es seit zehn Jahren und es wird immer bekannter. Mehr und mehr Eltern haben davon gehört und darüber etwas gelesen. In Amerika sind Gebärden für Babys so verbreitet wie Babyschwimmen und PEKiP-Bewegungs-Kurse in Deutschland.

Was sind Vorteile, wenn Kinder die „Zwergensprache“ lernen?
Spelz:
Die Kinder können viel früher mitteilen, was sie interessiert und was ihre Bedürfnisse sind. Frustration, die durch Nicht-Verstehen entsteht, kann dadurch vermieden werden. Es gibt mittlerweile diverse Studien, hauptsächlich aus dem englischsprachigen Raum, die belegen, dass Kinder durch die Gebärden einen größeren aktiven und passiven Wortschatz haben und keinesfalls später zu sprechen lernen. Die Gebärden fördern die Sprachentwicklung.

Gibt es auch Nachteile?
Spelz:
Das Leben mit Kindern ist ja von Überraschungen geprägt. Da hat man auch schon mal eine Hand im Gesicht, wenn das Kind die Gebärde „Hubschrauber“ zeigt (lacht).

Haben Sie mit Ihren eigenen Kindern auch Gebärden eingeübt?
Spelz:
Ja, mit allen dreien. Der eine hat Gebärden intensiver genutzt, der andere weniger. Meine Kinder haben sich die Gebärden herausgepickt, die sie brauchten und haben damit aufgehört, als sie sie nicht mehr benötigten.

Was war hierbei Ihr schönstes Erlebnis?
Spelz:
Als mein Sohn Frederik und ich im Garten eine Raupe anschauten, und er dann die Gebärde für „Schmetterling“ machte. Er hatte zwischen der Raupe im Garten und dem Buch „Raupe Nimmersatt“ eine Verbindung gezogen. Oder als Frederik mit zweieinhalb Jahren Gebärden statt Worten benutzte, weil er wusste, dass man leise sein muss, wenn ein Baby schläft.

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