Was die chinesische Küche ausmacht

Berlin (dpa/tmn) - Die chinesische Küche gibt es nicht. Je nach Region unterscheiden sich Zutaten und Gewürze, Vorlieben und Gewohnheiten. Ein Spitzenkoch setzt natürlich andere Akzente als ein Hobbykoch.

Kein Grund, sich nicht mal selbst an chinesische Gerichte zu wagen.

Essen hat in China einen überragenden Stellenwert. Jeden Tag dreimal warm, jeweils mit mehreren Gängen - so hat es Li Hong aus ihrer Kindheit und Jugend noch im Kopf. Chinesen verbringen sehr viel mehr Zeit in der Küche als die Menschen in Deutschland. „Am Wochenende haben meine Eltern einen ganzen Tag in der Küche gestanden, um Sachen für die Woche vorzubereiten“, erzählt die gebürtige Pekingerin, die seit einigen Jahren in Deutschland lebt. „Essen bedeutet für uns Chinesen Lebensqualität.“

Eine Aussage, die der Berliner Sternekoch Tim Raue sicher unterschreiben würde. Er bezeichnet China als sein „kulinarisches Zuhause“ - und bewundert den „unglaublichen Purismus“, der sich dort bei den Speisen finden lasse. „Unsere Assoziation mit Wok-Gerichten gibt es nicht.“ 95 Prozent der Gerichte, „Rot gekochtes Schwein“ etwa oder „Knusprige Ente in Zitronensoße“, würden stets pur zubereitet, Gemüse allenfalls dazu serviert, keinesfalls mitgekocht.

„Das Land ist unglaublich groß und vielfältig, das macht sich auch an den vielen unterschiedlichen regionalen Küchen bemerkbar“, erklärt er. Denn die chinesische Küche, wie sie der durchschnittliche deutsche China-Restaurantbesucher kennt, existiert so nicht. Die Provinzen unterscheiden sich zum Beispiel in der Schärfe und Würze und daran, ob eher Krustentiere oder Fleisch verwendet wird. „Am schärfsten sind die Gerichte in Hunnan. Das ist eine ganz andere Schärfe als in Sichuan, die zum Teil vom Sichuanpfeffer kommt“, zählt Raue auf. In Shanghai werde süß-säuerlich gekocht, in Peking dagegen eher salzig-säuerlich. Die kantonesische Küche, die ihn durch zahlreiche Hongkong-Aufenthalte immer wieder inspiriert, sei von ihrer Harmonie her vergleichbar mit der französischen.

Li Hongs Mutter stammt aus dem Schärfe liebenden Sichuan, ihr Vater aus der südchinesischen Region Anhui, wo viel Tofu gegessen wird, sie selbst ist in Peking aufgewachsen. Diese unterschiedlichen kulinarischen Einflüsse hat sie in einem Kochbuch mit den Lieblingsrezepten ihrer Familie vereint. Darin findet sich zum Beispiel das Rezept ihrer Mutter für „Nach Fisch duftende Auberginen“. Frisch geschnittene Auberginenstücke werden angebraten und dann in einer Soße aus Öl, Ingwer, Knoblauch, scharfer Bohnenpaste und Lauch geschmort. Die Kombination „Tofu mit Hühnerfleisch in dunkler Soße“ steuerte ihr Vater bei. Gern in Nordchina gegessen würden Zucchinipfannkuchen.

„Auch wenn man es nicht kennt, kann man gut chinesisch kochen“, sagt Hong. Sie nutzt Zutaten, die sie in gut sortierten Asialäden bekommt. Auch Raue setzt auf solche Geschäfte - und auf Zutaten, die dem europäischen Gaumen offenbar mehr behagen als manche exklusive chinesische Spezialität. Versuche, seinen Gästen Seegurke oder die in Hongkong besonders beliebten Schwalbennester zu servieren, lässt er inzwischen sein. „Schwalbennester kosten so viel wie weiße Trüffel. Weiße Trüffel machen hier aber mehr Sinn als Schwalbennester.“

Ein Zugeständnis an den hiesigen Gast ist daher seine „Peking Ente Interpretation TR“. Die kann ein Kunde für sich allein bestellen. In China ist die Ente dagegen ein Gericht, das wie alle anderen Speisen auf den Tisch kommt, damit mehrere gemeinsam davon essen. „Sie haben keine Chance, hier chinesisch zu servieren“, bedauert Raue. Essen teilen sei in Deutschland ganz schwierig. Ausschließlich auf China, oder genauer die kantonesische Küche, setzt Raue aber sowieso nicht. Die Aromatik sei ihm zu „eindimensional“, lieber schaue er über den chinesischen Tellerrand zum Beispiel nach Thailand und Japan und bediene sich an den dortigen Gewürzwelten.

Was dem Sternekoch aus Berlin recht ist, kann Kai Mehler nur billig sein. „Ich versuche, Ideen aus der chinesischen Küche herauszuholen und zum Beispiel französisch oder schweizerisch abzuwandeln“, sagt der Inhaber einer Koch- und Patisserieschule im saarländischen Gersheim. Desserts etwa kennt man in chinesischen Küchen kaum. Mehler löst das so: Er füllt im Asialaden erhältliche Wan-Tan-Teigplatten mit Vanillepudding und Früchten und reicht dazu einen Ingwerdip. Oder er nimmt exotische, asiatische Früchte wie Lychees, Mangos oder Pitahayas für ein Mousse oder Sorbet.

Für ihn liegt der grundsätzliche Unterschied zwischen chinesischen und deutschen Gerichten in der „Schnibbelarbeit“. „Allgemein braucht die asiatische Küche viel Vorbereitung. Erst dann legt man los und ist nach zehn Minuten Kochen fertig“, erläutert er - eine Beobachtung, die auch Li Hong teilt. Wichtig sei zudem, dass alle Zutaten möglichst frisch sind. „Beim Bambus aus dem Glas muss man Abstriche am Geschmack machen, es geht aber auch.“ Natürlich seien frische Bambussprossen unvergleichlich leckerer - doch kaum jemand kann wie Hongs Vater durch dichte Bambuswälder streifen auf der Suche danach. Aber auch kaum ein Hobbykoch wird kochen wie ein Sternekoch.

Literatur:

- Li Hong: Der Duft meiner Heimat. Gerstenberg, 144 S., 19,95 Euro, ISBN-13: 978-3-8369-2609-6

- Martina Hasse: Die Chinesische Tempelküche, AT, 232 S., 29,90 Euro, ISBN-13: 978-3-03800-498-1

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort