Neue Wege der Winzer Vinotheken: Der Wein als Erlebnis

Oestrich-Winkel (dpa) - Die „Wein-Erlebniswelt“ ist in einer eher unansehnlichen früheren Abfüllhalle aus den 1970er Jahren untergebracht. Doch drinnen zieht Ulrich Allendorf auf fast 1000 Quadratmeter alle Register.

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So können in einem „Aromaberg“ je nach Bodenbeschaffenheit 19 Weinaromen entdeckt werden. Spezielle Lichtinstallationen sollen zeigen, wie man sich bei einer Weinprobe auch von äußeren Einflüssen beeindrucken lässt.

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„Wein ist Emotion und nichts anderes“, sagt der 50-jährige Winzer. Auf seinem Weingut in Oestrich-Winkel hat er mit der bereits 2003 eingerichteten „Erlebniswelt“ mit eingegliederter Vinothek Pionierarbeit in Sachen Marketing geleistet. „Wir müssen die Menschen persönlich erreichen“, lautet Allendorfs Credo. Mit seinen rund 70 Hektar gehört er zu den größten Gütern im Rheingau und hat mehr als 50 Beschäftigte. Immerhin 40 Prozent der Weine werden direkt verkauft.

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In den vergangenen Jahren sind Vinotheken im Rheingau schon beinahe wie Pilze aus den Weinböden geschossen - edle Einrichtungen gibt es vor allem in großen Renommierbetrieben. Aber auch kleinere Winzer haben inzwischen erkannt, dass im verschärften Konkurrenzkampf ein separater Probier- und Verkaufsladen die Kundenbindung deutlich erhöhen kann.

„Man kann damit das Gesamtbild des Weinguts beim Konsumenten nach seinen eigenen Vorstellungen prägen“, sagt Jon Hanf, Professor für internationales Marketing-Management an der Weinbau-Hochschule Geisenheim. Einen Verkaufsraum hatte ein Weingut zwar schon immer. Doch das konnten auch wenig einladende dunkle Stuben ein. Schon das Wort Vinothek verspricht dagegen bei Räumlichkeiten und Möbel etwas Besonderes.

Es symbolisiert den Strukturwandel: Auch der Wein ist inzwischen ein Lifestyle-Produkt geworden - für eine Kundschaft, deren volatiles Kaufverhalten sich ständig verändern kann. Zugleich gibt es aber immer mehr Winzer, die dank der verbesserten Kellereitechnologie hervorragenden Wein produzieren. Um sich da voneinander abzugrenzen, scheint gutes Marketing unverzichtbar.

Auch die Interessenorganisation der Winzer hat inzwischen den „Erlebniswert“ von Vinotheken erkannt, wie der Präsident des Rheingauer Weinbauverbands, Peter Seyffardt, sagt. Der Verband will jetzt einen eigenen Vinotheken-Führer herausgegeben, der unter anderem in Hotels im Rhein-Main-Gebiet kostenlos verteilt werden soll. Darin werden 26 Weingüter in der Region mit zertifizierten Vinotheken aufgeführt.

Bedingung ist, dass eine solche Einrichtung feste Verkaufszeiten hat. Gegen einen Beitrag von fünf bis sechs Euro kann dann jeder einige Weine probieren. Bei einem Kauf werde der „Obolus“ dem Kunden gutgeschrieben.

Doch lohnt es sich tatsächlich, wenn ein Winzer Hunderttausende oder nicht selten Millionen Euro in den Bau einer Vinothek steckt? Das können eigentlich nur finanzkräftige Betriebe leisten. Aber auch für ein mittelständisches Weingut mit zehn bis 15 Hektar könnten sich diese Investitionen langfristig rechnen, sagt Hanf. Jeder Winzer spare durch die direkte Vermarktung - und der Umgehung des Zwischenhandels - auch gleichzeitig viel Geld.

Gerade im Rheingau mit seinen vielen Tagestouristen und der Nähe zum Rhein-Main-Gebiet ist die Direktvermarktung sehr stark - weit größer als in Rheinhessen. Dafür hat auf der anderen Seite des Rheins die Architektenkammer Rheinland-Pfalz einen inzwischen auch überregional vielbeachteten „Architekturpreis Wein“ ausgelobt. Damit wurden im vergangenen Jahr schon zum vierten Mal bundesweit modern gestaltete Betriebe und Vinotheken ausgezeichnet.

„Im Zuge der Revitalisierung des Weintourismus wird es mehr Investitionen in die Architektur und das Gesamterlebnis Weingut geben“, prophezeit der Geisenheimer Marketing-Professor Hanf. Unter den Betrieben, die die Mainzer Architektenkammer bisher ausgezeichnet hat, sind allerdings nur wenige aus dem Rheingau. Auch Allendorfs Vinothek in der ehemaligen Abfüllhalle würde sicherlich nie einen Architektur-Preis erhalten. Dennoch lockt er jedes Jahr Zehntausende von Besucher in die Erlebniswelt, wie er sagt.

Der umtriebige Winzer ist aber schon wieder einen Schritt weiter. Für ausgewählte Weinproben im kleinen Kreis hat er für seine Kunden eine neue Anlaufstelle gefunden - im historischen Ambiente. In seinem Heimatort hat der 50-Jährige langfristig den Gutsausschank im traditionsreichen Brentanohaus gepachtet. Land und Bund sanieren gerade mit Millionenaufwand das Haus, das als Wiege der deutschen Rhein-Romantik gilt. Schon Goethe war bei seinen Besuchen dort voll des Lobes über den Rebensaft.

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