Muskulatur: Kraft, die aus der Tiefe kommt

Wer sich zu wenig bewegt und damit auch die tiefste Muskelschicht vernachlässigt, bekommt die Folgen zu spüren: Schmerzen zum Beispiel oder auch Konzentrationsschwäche.

Düsseldorf. Immer wieder klagte Monika H. über Rückenschmerzen und suchte mehrmals einen Orthopäden auf. Doch der Arzt konnte keine eindeutige Diagnose stellen und gab ihr den Rat, sich zu bewegen und insbesondere ihre Tiefenmuskulatur unter fachlicher Anleitung zu stärken.

Das ist mittlerweile drei Monate her. Seitdem besucht Monika H. zweimal pro Woche einen sogenannten Flexi-Bar-Kurs in einem Fitnessstudio und fühlt sich deutlich besser.

Wie wichtig die Tiefenmuskulatur für den Rücken ist, weiß Ingo Froböse, Leiter des Zentrums für Gesundheit der Deutschen Sporthochschule Köln: "Die kleinen und feinen Rückenmuskeln der tiefsten Schicht liegen direkt an der Wirbelsäule und sorgen dafür, dass die Wirbelkörper wie ein gut funktionierendes Zahnrad ineinander greifen. Sie garantieren die notwendige Stabilität und halten zum Beispiel auch die Bandscheiben an ihrem Platz."

Das Besondere an diesen Muskeln ist, dass sie sich vor der eigentlichen Bewegung anspannen und die Wirbelsegmente stabilisieren. Selbst wenn man nur den Arm anheben will, bereiten sie den Körper auf die Bewegung vor. An Bauch und Beckenboden existiert ein ähnliches System von Bewegungs- und Stabilisierungsmuskeln.

Aber diese kleinen Muskeln habe eine Tücke: Sie lassen sich nur schwer trainieren. "Die Tiefenmuskulatur lässt sich nicht willentlich anspannen, sondern reagiert rein reflektorisch", erklärt Swantje Kielhorn, Diplom-Sportlehrerin und zertifizierte Flexi-Bar-Kursleiterin. Deshalb lässt sich die Kraft und Elastizität dieser Muskeln mit normaler Gymnastik oder Training an Kraftgeräten nicht aktivieren. Das funktioniert nur durch kleine Dreh- und Seitbewegungen des Rumpfes.

Mittlerweile gibt es verschiedene Möglichkeiten, die tiefe Muskelschicht des Rückens zu trainieren. Kurse wie Flexi-Bar, Pilates, Yoga oder Power Plate bieten immer mehr Fitnessstudios und Vereine an.

Doch was bringen Übungen mit speziellen Geräten wie dem Flexi-Bar, einer etwa 1,50Meter langen biegbaren Stange aus Fiberglas? Froböse: "Bei dieser Methode kommen Bewegungselemente vor, die die Wirbelsäule mit kleinen, relativ schnellen Bewegungen zur Seite neigen oder sie rotieren lassen. Das ist für die Aktivierung entscheidend."

Der Flexi-Bar kommt ursprünglich aus der Krankengymnastik und wird durch kleine Bewegungen in Schwung gebracht. Auf diese Schwingung reagiert der Körper automatisch mit Anspannung der tiefen Muskelschicht. Darüber hinaus fördert das Training die Konzentration, die Koordination und das Gleichgewicht.

Auch Yoga- und Pilates-Kurse trainieren die für die Wirbelsäule wichtige Muskelschicht. In der Regel ist hier der eigene Körper das wichtigste Trainingsgerät und wird mit langsamen, aber sehr intensiven Übungen aktiviert.

In den Flexi-Bar-Kurs von Kielhorn kommen nicht nur junge und beschwerdefreie Menschen: "Die Bandbreite ist sehr groß, weil das Training fast alle Muskelgruppen abdeckt. Grundsätzlich ist es auch für Personen mit Haltungsschäden empfehlenswert."

Das unterstützt auch Froböse: "Gerade für Menschen mit Rückenbeschwerden sind diese Übungen wichtig und sinnvoll. Bei gut 90 Prozent aller Betroffenen sind die Schmerzen auf eine schwache Muskulatur, schwache Bänder oder verkantete Wirbelgelenke zurückzuführen." Auch psychischer Stress sei ein möglicher Auslöser. Laut Froböse kann eine Kombination aus Kräftigung und Entspannung, wie etwa auch beim Yoga, Abhilfe schaffen.

Wer seinen Körper nicht trainiert und damit auch die tiefe Muskelschicht jahrelang vernachlässigt, wird die Folgen schnell zu spüren bekommen. Vor allem die so wichtigen tiefen Muskeln verkümmern bei Bewegungsmangel und Schonung fast doppelt so schnell wie andere.

Dies hat zur Folge, dass die Wirbelsäule bei allen Drehbewegungen instabil wird, da die kleinen Muskeln die Wirbelkörper nicht mehr ausreichend stabilisieren - so kommt es zu Blockaden. "Es können plötzlich Probleme beim Bücken auftreten, vor allem, wenn man sich gleichzeitig zur Seite dreht", berichtet Froböse.

Selbst bei Kindern kann eine schwache Tiefenmuskulatur Problem hervorrufen, ohne dass Eltern oder Ärzte diese auf das schwache Muskelkorsett zurückführen. "Je weniger Tiefenmuskulatur, desto weniger Stabilität hat der Köper.

Und je weniger sich ein Mensch mit Muskelkoordination unbewusst in der Balance halten kann, umso mehr Konzentration und Energie muss er für eine aufrechte Haltung aufwenden. Erwachsene, aber ganz besonders Kinder, werden dadurch antriebslos, instabil und können sich nicht konzentrieren", sagt der Orthopäde Dr. Siegbert Tempelhof. Einziger Ausweg aus dem Dilemma: Bewegung.

Nicht immer muss der Weg dafür in den Verein oder ins Fitnessstudio führen. Es gibt auch Übungen, die man mit wenig Aufwand zu Hause durchführen kann (siehe Kasten). Die Beschwerden weichen aber erst dann, wenn regelmäßig trainiert wird. Wer sich zum Einzeltraining nicht motivieren kann oder unsicher ist, kann in einer Schnupperstunde ausprobieren, ob ihm das Training in der Gruppe und unter Anleitung mehr Spaß bereitet. Denn der steht immer noch an erster Stelle.

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