Kraft des Klangs - Durch Musiktherapie Worte finden

Berlin/München (dpa/tmn) - Klimpern, Trommeln, Singen: Manche Kinder drücken sich anfangs lieber durch Laute und Musik aus. Das macht sich die Musiktherapie zunutze. Sie kann bei einer Sprachstörung helfen.

Auch bei Aufmerksamkeitsproblemen bietet sie sich an.

Musiktherapie, meinen viele, das ist Musik hören mit Therapeut. Stimmt aber nicht. Ob in Einzeltherapie oder Gruppenarbeit: Die Musiktherapie geht anders vor. Und auch wenn sich das nicht immer harmonisch anhört, das Musizieren mit Kindern kann viel bewirken. Verschiedene Beispiele zeigen das.

Beim ersten Hinhören klingt es ganz schön gewöhnungsbedürftig: Auf das laute Schreien und Weinen seines vierjährigen Patienten Mustafa antwortet Prof. Lutz Neugebauer mit hohen, scheppernden Klaviertönen und heulendem Gesang. „Die gängige Laienmeinung von Musiktherapie ist, dass dem Patienten Musik vorgespielt wird, die eine bestimmte Wirkung haben soll“, sagt der Therapeut, der Vorstandsmitglied der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft in Berlin ist. Das ist aber nicht richtig. „Aufgrund einer autistischen Störung hatte Mustafa keine Sprache entwickelt, bis er zu mir in die Praxis kam“, sagt Neugebauer.

Kinder mit einer Sprachverzögerung werden in der Therapie angehalten, sich durch Musizieren auszudrücken. Das kann auch einfach ein Klimpern auf dem Klavier oder monotones Hämmern auf eine Trommel sein. „In allem, was die Kinder machen, liegen musikalische Elemente“, sagt Neugebauer. Auch ein Schreien versteht der Therapeut als musikalisch-stimmliche Äußerung, auf die er musikalisch reagiert. „So können sich die Kinder auch ohne Sprache verständlich machen.“ Langsam werden sie dann über die Musik an erste Worte herangeführt.

Musiktherapie kann allerdings auch ganz anders aussehen: Andreas Wölfl vom Freien Musikzentrum in München arbeitet mit seinem Projekt „Trommelpower“ für einen besseren Klassenzusammenhalt an Schulen. Auch er möchte den Kindern vor allem eines geben: Ausdrucksmöglichkeit. „Wir stellen fest, dass es immer wieder Kinder und Jugendliche gibt, die unruhig sind oder ein Aggressionsproblem haben.“ Um dagegen anzugehen, konzipierte Wölfl mit einem Kollegen ein Trommelprojekt für Schüler zwischen 10 und 13 Jahren.

Im Zusammenhang mit seinem Projekt sind drei Studien entstanden, die belegen, dass sich neben dem Miteinander auch Konzentration und Lernverhalten der Schüler verbessern. Diese noch unveröffentlichten Untersuchungsergebnisse werden von einer Studie des Musikpädagogen Hans Günther Bastian von der Universität Frankfurt am Main gestützt. Bastian hatte auf der Grundlage einer sechsjährigen Studie an Berliner Grundschulen nachgewiesen, dass an Schulen mit verstärktem Musikunterricht Konzentration und Klassenzusammenhalt besser sind als an Schulen mit wenig Musikbildung.

Warum das gemeinsame Musizieren so enorme Auswirkungen auf das menschliche Miteinander hat, erklärt Prof. Eckart Altenmüller von der Hochschule für Musik in Hannover so: „Musik gehört zu unserer evolutionären Ausstattung, sie ist ein ganz mächtiger Reiz, um Gruppen zusammenzuschmieden und um Menschen in Kontakt zu bringen.“ Schon bei Säugetieren fänden sich emotionale Rufe, die auch die Artgenossen bewegten, sie heranführten oder sie trösteten. „Daraus hat sich bei uns die Musik entwickelt“, erklärt Altenmüller. Zunächst in Form einer emotionalen Ursprache, die keinen semantischen Gehalt hatte, sondern nur den Gefühlen Ausdruck gab. „Später, vor etwa hunderttausend Jahren, haben dann die Menschen diese verfeinerte Musik genutzt, um sie in den Dienst des Gruppenzusammenhalts zu stellen.“

In der Einzeltherapie kann Musizieren zur Heilung beitragen. „Mustafa kann mittlerweile sprechen“, berichtet Neugebauer. Wenn Kinder erleben, dass sie kommunizieren können und verstanden werden, probierten sie sich immer weiter aus. Das sei wie beim Laufenlernen - ein Schritt führt zum nächsten.

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