Arztsprache: Was meinen Sie, Herr Doktor?

Wenn der Patient seinen Arzt nicht versteht, leidet die Therapie. Ein Plädoyer für eine verständlichere Sprache.

Monika muss operiert werden. Ihr Befund klingt kompliziert, und weil ihr "die Übersetzung sehr wichtig ist", stellt sie ihn komplett ins Internet. Statt in der Arztpraxis fragt sie auf der Seite www.wer-weiss-was.de um Rat: "Beidseitiger Zwerchfellhochstand bei geringer Inspirationstiefe und bei Adipositas, das Herz quergelagert, die Aorta geringgradig dilatiert und elongiert, die Hili etwas gestaucht aber nicht verbreitert, entzündliche Infiltrate oder Pleuraergüsse nicht nachweisbar."

Monika bekam eine sachverständig klingende Übersetzung von einem gewissen "Priamos", doch Martina Münzer von der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD) graust es vor solchen Internetforen. "Man sollte sich an einen Arzt wenden oder an uns oder an den Bundesverband einer zuständigen Selbsthilfegruppe." Ärzten sei oft gar nicht bewusst, was ihre Fachsprache bewirke. "Mediziner bewegen sich meist in einem sozialen Umfeld, in dem das akademische Niveau verstanden wird. Viele kommen gar nicht auf die Idee, dass es auch deutsche Begriffe gibt."

Auch beim Zahnarzt kann es schlimm sein. Da wird nicht nur gebohrt und abgeschliffen. Da wird palatinal und labial gearbeitet, da gibt es die Papilla und die Pulpa, ein Diastema und eine Dysgnathie. Der Patient, der während der Behandlung meist ohnehin nicht sprechen kann, sitzt hilflos im Behandlungsstuhl und versteht oft - nichts.

Die medizinische Fachsprache abzulegen, fällt vielen Doctores schwer, haben sie doch im Studium fleißig Latein und Griechisch gelernt. Eine Geheimsprache sei das, sagt Eckart von Hirschhausen, Kabarettist, promovierter Mediziner und gelernter Journalist. Ein "lateinisches Verwirrspiel" nennt es Nikolaus Nützel, Journalist und Autor des Buches "Erste Hilfe für Patienten und andere Geschädigte der Gesundheitsreform".

"Was redet der da?", fragt Hirschhausen in seinem Langenscheidt-Wörterbuch "Arzt-Deutsch, Deutsch-Arzt". Der Doktor spricht vom Rektumkarzinom und meint Mastdarmkrebs, er sagt Ösophagitis und meint eine Entzündung der Speiseröhre. Vorteil: Es hört sich wichtig und kompliziert an. Rhinitis etwa, zusammengesetzt aus Rhin (Nase) und -itis (Entzündung) klinge viel bedeutsamer als Schnupfen, frozzelt Hirschhausen. Sein Lieblingsausdruck kommt aus dem Giftschrank der Arztsprache: die "supranasale Oligosynapsie", ein interner Ausdruck für dumme Patienten - wörtlich übersetzt: "Oberhalb der Nase finden nicht viele Nervenzellen zueinander".

Aber Patienten wollen nicht für dumm verkauft werden, sondern mitreden und dem Arzt auf Augenhöhe begegnen. Dafür gibt es nicht nur Hirschhausens Wörterbuch. Es gibt "Verstehen Sie Arzt?" aus einer Apotheken-Ratgeber-Reihe, es gibt "Erste Hilfe für Patienten" aus dem Knaur-Verlag, und es gibt Lexika im Internet. Zum Beispiel das "Fremdwörterlexikon" für den Zahnarztbesuch, zusammengestellt von der Initiative "proDente", getragen unter anderem von Bundeszahnärztekammer, Dentalindustrie und Zahntechnikern. Mehr als 550 Begriffe werden hier erklärt.

Möglicherweise ist das Gespräch auf Augenhöhe auch eine Generationenfrage. Der Halbgott in Weiß, der weit über dem Patienten stand, ist für jüngere Ärzte oft kein Vorbild mehr. Aber immer noch bekommen junge Mediziner, wenn sie von der Uni in die Praxis wechseln, einen Alltagsschock. Die frühere Bundesfamilienministerin Ursula Lehr, heute Professorin am Institut für Gerontologie an der Uni Heidelberg, drückt es so aus: "Der alte Arzt spricht Latein, der junge Arzt spricht Englisch, der gute Arzt spricht die Sprache des Patienten." Seltsam, dass das so lange dauert. Denn schon der chinesische Philosoph Konfuzius (551 bis 479 vor Christus) wusste: "Wenn die Sprache nicht stimmt, dann ist das, was gesagt wird, nicht das, was gemeint ist."

Die UPD ermutigt Patienten, nachzufragen - was viele sich nicht trauen, auch, weil niemand gerne dumm dasteht. "Es gibt eindeutig eine Kluft zwischen Arzt und Patient", sagt Martina Münzer. Aber auch positive Beispiele: "Kinderärzte und Hausärzte beherrschen das - das einfache Erklären." Wenn sich Ärzte mehr Zeit nähmen, ist sich Münzer sicher, gäbe es weniger Untersuchungen.

Medizinische Terminologie ist ein Pflichtkurs für jeden Studenten, der einmal Arzt werden möchte. Den Umgang mit Patienten dagegen kann man nur als Fortbildung im Beruf lernen - freiwillig. "Das ist zu spät", sagt Professor Linus Geisler, Internist und Mitglied verschiedener Ethik-Kommissionen. "Das Thema müsste ein Pflichtfach werden." Immerhin aber werde mittlerweile die Arzt-Patienten-Kommunikation an drei Hochschulen als Projekt in das Studium integriert, in Münster, Heidelberg und an der Berliner Charité.

Geisler fordert, Ärzte sollten "anschaulich" sprechen und Bilder benutzen, am besten ganz konkret: Wer Diagnosen aufmale oder Patienten zum Beispiel bei Krebs ihre Gefühle zeichnen lasse, könne manchmal "überwältigende Einblicke" erhalten.

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