Wenn der Kunde zum Mitarbeiter wird

Berlin (dpa) - Brötchen selbst einpacken oder die Einkäufe an der SB-Kasse bezahlen: Unternehmen wälzen immer häufiger Tätigkeiten auf die Kundschaft ab und sparen damit Kosten. Die Verbraucher sind längst zu Mitarbeitern geworden.

Nicht alle finden das praktisch.

Er wird nicht bezahlt, braucht kein Büro und auch keinen Betriebsrat. So einen Mitarbeiter wünschen sich wohl viele Unternehmen. Und es gibt ihn schon: den Kunden. Viele Firmen lagern Arbeiten auf die Konsumenten aus und sparen so jede Menge Geld. „Das reicht vom Brötchen einpacken über den Online-Check-In am Flughafen, bis hin zur Weiterentwicklung von Produkten übers Internet“, sagt der Chemnitzer Soziologe Günter Voß. Nach seinen Beobachtungen ist der Verbraucher nicht mehr nur als kaufkräftiger Konsument gefragt, sondern immer häufiger auch als „arbeitender Kunde“.

In der Wirtschaft gibt es viele Beispiele für die Beteiligung des Kunden: SB-Kassen, Packstationen, Online-Portale. Unter Schlagwörtern wie „Kundenorientierung“ bieten die Unternehmen eine breite Palette an, mit der sie Kunden in die Pflicht nehmen - häufig anstelle eines Mitarbeiters. Wie groß das Einsparpotenzial tatsächlich ist, rechnet Björn Weber vom Handelsinformationsdienst Planet Retail am Beispiel von Selbstbedienungskassen vor, an denen Kunden auch in Deutschland schon in Eigenregie bezahlen können: „Im Schnitt entfallen mindestens 65 Prozent der Personalkosten einer Filiale auf den Kassiervorgang. Das ist eine große Stellschraube.“

Das beobachten natürlich auch die Gewerkschaften ganz genau: „Solchen Apparaten stehen wir skeptisch gegenüber“, sagt Ulrich Dalibor, Fachgruppenleiter für den Einzelhandel bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Er sieht die Gefahr, dass neben einem Stellenabbau auch ein schleichender Prozess vonstatten geht: „Der Self-Service trägt dazu bei, dass der Kassiervorgang und das damit verbundene Berufsbild immer mehr entwertet werden und so die tarifliche Bezahlung umgangen werden kann“, warnt er mit Blick auf die fortschreitende Automatisierung.

Darin sieht der Einzelhandelsverband HDE nichts anderes als eine technikfeindliche Haltung. „Auf einer Lok haben wir heutzutage auch keinen Heizer mehr“, sagt HDE-Geschäftsführer Heribert Jöris. Natürlich würden bestimmte Tätigkeiten überflüssig. „Dafür entstehen in anderen Bereichen wieder neue. Die gesamte Handelslandschaft lebt davon, dass auch der Kunde Aufgaben übernimmt und auch übernehmen will.“ Das sieht auch Michael Gerling, Geschäftsführer des Handelsforschungsinstituts EHI in Köln, so: „Die SB-Kassen werden die mit einem Mitarbeiter besetzten Kassen nicht flächendeckend ersetzen können. Solche Einrichtungen gibt es immer nur zusätzlich.“

Beim „Self checkout“, wie die Handelsexperten das Scannen und Kassieren durch den Kunden nennen, steht der deutsche Handel nach Einschätzung von Fachmann Weber noch ziemlich am Anfang. „Die USA und Großbritannien sind da schon viel weiter.“ Allerdings hat er in der jüngsten Zeit einen technischen Schub beobachtet, der sich in den Läden bemerkbar machen werde. Künftig könnte es zum Beispiel so sein, dass Kunden über eine App mit ihrem Smartphone die gewünschte Ware beim Einpacken in den Einkaufswagen scannen und am Ende dann die Gesamtsumme bezahlen.

Unterm Strich sieht Soziologe Voß nicht nur Vorteile auf die Unternehmen zukommen: „Es ist entscheidend, dass sie das neue Potenzial erkennen und vor allem richtig damit umgehen.“ Als Beispiel nennt er die Beteiligung der Kunden an der Produktentwicklung, wie sie unter dem Stichwort „Crowdsourcing“ vor allem übers Internet stattfindet: Konkret macht sich die Community dann zum Beispiel Gedanken über ein neues Firmenlogo, sendet Verbesserungsvorschläge für das Design eines Sportschuhs oder kreiert ihren Lieblings-Burger.

Sobald aber Verbraucher zu Ideengebern, Produzenten oder Marketinghelfern werden, müssten sich die Unternehmen auch auf eine neue Form von Kundensouveränität einstellen und entsprechend reagieren, sagt Voß.

Dabei unterlaufen ihnen nach seiner Beobachtung aber immer wieder eklatante Fehler. „Es kann zum Beispiel nicht sein, dass man sich Social-Media-Anwendungen auf die Fahnen schreibt, und dann den Kunden, der ein Problem darüber äußert, an die Beschwerde-Hotline verweist. Er erwartet eine Antwort über den neuen Kanal.“ Gleichwohl stehen Unternehmen vor großen Möglichkeiten: „Es geht nicht nur um Kostenreduktion. Durch die direkte Einbeziehung des Kunden wird auch unmittelbar Profit erzielt.“

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