„Sie haben sich eingelassen“ - Kritik an Gerichtsdeutsch

Rostock (dpa) - Eine Vernehmung vor Gericht: Ein Zeuge soll punktgenau auf kompliziert formulierte Fragen antworten und auch privateste Dinge unter großem Druck wahrheitsgemäß erklären. Damit sind viele Menschen überfordert, hat ein Rechtsmediziner festgestellt.

Sie urteilen im Namen des Volkes, verhandeln aber oft nicht in der Sprache des Volkes: Vor Gericht stoßen oft Welten aufeinander. Der Rostocker Rechtsmediziner Ulrich Hammer ist der Meinung, dass dies der Wahrheitsfindung in Strafprozessen nicht dient.

Er schildert eine oft erlebte Szene: Ein Jurist will an eine frühere polizeiliche Vernehmung anknüpfen und sagt: „Sie haben sich damals dahingehend eingelassen, dass...“ Die Reaktion der angesprochenen Zeugen: „Die Leute gucken an sich runter, ob sie eine nasse Hose haben, wissen aber eigentlich nicht, was er will.“ Auch Floskeln wie „wir führen jetzt ein“ oder „Ihre Aussage ist dahingehend zu würdigen“ würden von vielen Zeugen nicht verstanden. Der Mediziner forderte von den Juristen eine größere Sensibilität im Umgang mit Zeugen.

Auch die Atmosphäre im Gerichtssaal ist nach Einschätzung von Hammer der Wahrheitsfindung oft abträglich. Zeugen kommen unvermittelt in die Verhandlung und werden unter Strafandrohung zur Aussage der Wahrheit verpflichtet. „Da wird ein Fragedruck aufgebaut.“ Sie sollen punktgenau aussagen und mitunter intimste Dinge darstellen, und das in einem öffentlichen Prozess über mehrere Meter Distanz zum Richter. „Normalerweise werden sich zwei Menschen, die sehr persönliche Dinge miteinander zu bereden haben, eng zusammenstellen“, meinte der Mediziner

Manchmal würden Zeugen über Stunden befragt. Die Konzentration lasse nach, es kämen Antworten auf Fragen, die gar nicht gestellt worden seien. Hammer sprach sich dafür aus, die psychologischen Probleme einer Gerichtsverhandlung stärker in der Juristenausbildung zu berücksichtigen. An deutschen Hochschulen sei das bislang ein Defizit. Nur in Berlin gebe es eine Sektion Rechtspsychologie, an den Lehrveranstaltungen nähmen aber nur wenige Jurastudenten teil.

Er selbst, so versichert Hammer, halte sich in Gutachten und Erklärungen an eine einfache Sprache. „Wir verwenden keine medizinischen Fachausdrücke. Wir deutschen alles ein.“ Schon den Ausdruck Forensik für sein Berufsfeld lehnt er ab: „Das heißt Rechtsmedizin und gut.“

Die Universität Rostock, an der auch Hammer tätig ist, hat seit einem Jahr nur noch eine kleine Jurafakultät mit rund 200 Studenten, die den Bachelor-Abschluss anstreben. Mit dem Studiengang will die Universität neue Wege beschreiten und Kommunikationsbarrieren zwischen Juristen und Laien abbauen.

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