Luftballon-Effekt Inkasso-Schock für säumige Schuldner

Verbraucherschützer beklagen den Luftballon-Effekt: Durch das Einschalten von Inkassofirmen wird die ursprüngliche Forderung oft auf das Mehrfache aufgepumpt.

Düsseldorf. Eine Luftpumpe. Daran: ein prall aufgeblasener, blauer Luftballon. Das vor dem Pult von Wolfgang Schuldzinski installierte „Kunstwerk“ symbolisiert, welcher Missstand den Chef der Verbraucherzentrale NRW umtreibt: Eine, wie Schuldzinski es ausdrückt, „massive Kostentreiberei von Inkassounternehmen“. Durch das Einschalten von Inkassounternehmen würden zunächst übersichtliche Forderungen, die Verbraucher aus welchen Gründen auch immer nicht sofort bezahlen, aufgepumpt. Am Ende schnelle die Ursprungsforderung oft auf das Mehrfache in die Höhe. Es sei eine „Konsumentenplage des 21. Jahrhunderts, dass große Unternehmen bei Millionen alltäglicher Zahlungsgeschäfte einträgliche Nebeneinnahmen beim Inkasso aufs Gleis setzen“, sagt Schuldzinski.

Hintergrund: Unternehmen, insbesondere Online-Händler, die nicht dafür aufgestellt sind, Forderungen mit eigenem Personal einzutreiben, beauftragen damit ein Inkassounternehmen. Oder sie verkaufen ihre Forderung an die Inkassofirma. Dann wird diese selbst zum Gläubiger gegenüber dem säumigen Verbraucher. In beiden Fällen kommt es zum Luftballoneffekt.

Die Verbraucherschützer geben ein Beispiel aus ihrer Praxis: Eine Kundin hat bei einem Online-Händler Schuhe zum Preis von 59,80 Euro gekauft. Als sie das Geld schuldig bleibt, erlebt sie ihre blaues Luftballon-Wunder. 211 Euro soll sie am Ende zahlen. Ein Betrag, der sich so zusammensetzt: Zinsen: 0,80 Euro, Inkassokostenpauschale: 58,80 Euro, „Nebenforderungen“: 10 Euro, Auslagenpauschale: 11,70 Euro, Doppelgebühr wegen zusätzlicher Einschaltung eines Anwalts: 58,50 Euro, Auslagen des Anwalts: 11,70 Euro.

„Insbesondere beim Eintreiben von Bagatellforderungen geht es bei den Inkassobüros zu wie in Wild West“, sagt Schuldzinski. Die Verbraucherschützer verklagen daher nicht nur die über die Stränge schlagenden Inkassounternehmen, sondern wollen auch die großen Auftraggeber dieser Inkassounternehmen in die Pflicht nehmen. „Die Verbraucherzentrale hat jetzt den Onlineshop Zalando, das Telekommunikationsunternehmen 1&1, den Energieversorger Vattenfall und den Pay-TV-Anbieter Sky angeschrieben und diese aufgefordert, dafür zu sorgen, dass die von ihnen beauftragten Inkassounternehmen nicht abkassieren wie sie wollen.“ Dabei appelliert Schuldzinski auch an die Unternehmen selbst. Diesen müsse im Interesse der Kundenzufriedenheit an einem seriös agierenden Forderungsmanagement gelegen sein.

Birgit Höltgen, Juristin bei der Verbraucherzentrale, betont, die bislang von den Unternehmen noch nicht beantworteten Schreiben seien keine Abmahnung. „Wir sind ja höflich, das ist erstmal die Vorbereitung einer Abmahnung.“ Sollte es keine entsprechende Reaktion geben, würden weitere Schritte geprüft.

Die Verbraucherschützer kritisieren, dass für standardisierte Forderungsschreiben mit vorgefertigten Textbausteinen und automatisiertem Versand allenfalls eine Gebühr an der unteren Grenze der Anwaltsgebühr erhoben werden dürfe, was etwa 27 Euro entspreche. Auch könne es nicht hingenommen werden, wenn erst eine Inkassofirma und dann nach kürzester Zeit ein im Auftrag des Inkassounternehmens tätiger Anwalt nacheinander eingeschaltet werden. Das sei „Geldschneiderei“.

Ein Sprecher des Bundes Deutscher Inkasso-Unternehmen sagte hingegen gegenüber dpa, es habe keinen Anstieg der Beschwerden gegeben. Der Verband sprach sich jedoch für eine schärfere staatliche Aufsicht über die Branche aus. Es gebe Probleme mit nicht registrierten Unternehmen, die zum Teil betrügerisch agierten. „Übertreibungen beim Inkasso sind nicht in unserem Interesse.“

Für den einzelnen Verbraucher, der sich mit astronomisch hohen Inkassoforderungen konfrontiert sieht, haben die Verbraucherschützer auf ihrer Homepage eine Art Erst-Hilfe-Paket mit Informationen und Musterbrief geschnürt. Abrufbar unter: verbraucherzentrale.nrw/inkassounternehmen

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