Vorlese-Studie: Apps machen das Lesen cool

Berlin (dpa/tmn) - Digitale Varianten von Kinderbüchern boomen. Machen Vorlese-Apps für Smartphones und Tablets nun dem guten alten Bilderbuch Konkurrenz? Nein, fand eine Studie der Stiftung Lesen heraus.

Im Gegenteil könnten sie Kindern sogar einen Leseanreiz geben.

Vorlesen wird vielfältiger. Entsprechende Angebote auf Tablet-Computern und Smartphones ergänzen das klassische Bilderbuch neuen Erhebungen zufolge und bieten sogar neue Potenziale. Bücher ersetzen können sie bisher nicht, wie aus einer repräsentativen Studie zum „Deutschen Vorlesetags“ (16. November) hervorgeht. Jede siebte Familie mit Kindern zwischen zwei und acht Jahren nutzt demnach die digitalen Vorleseangebote. Die Stiftung Lesen stellte die Untersuchung gemeinsam mit der Deutschen Bahn und der Wochenzeitung „Die Zeit“ am Dienstag (30. Oktober) in Berlin vor.

„Die Studie birgt überraschende Ergebnisse über die Akzeptanz und den Einsatz digitaler Lesemedien“, fasste Simone Ehring von der Stiftung Lesen zusammen. Deutlich sei: Sie würden zusätzlich zum Buch und abhängig von der Vorlesesituation eingesetzt. „88 Prozent der Eltern sagen, Apps seien eine tolle Ergänzung, aber kein Ersatz für ein gedrucktes Buch“, ergänzte Bahnchef Rüdiger Grube. „Abends geht es ums Kuscheln und um Gemütlichkeit. Da kommt das klassische Buch zum Einsatz.“ Die elektronische Variante sei auf Reisen und bei Wartezeiten beliebt: „Man hat immer genug Vorlesestoff dabei.“

Vor allem Väter, die bisher deutlich seltener vorlesen als Mütter, begeistern sich für die neue Technik. Laut Studie finden 40 Prozent der Väter, die sowohl Bücher als auch Apps vorlesen, die elektronische Variante sogar besser - nur 23 Prozent favorisieren das klassische Buch. Bei den Müttern ist es genau umgekehrt (20 zu 45 Prozent). Tablets und Smartphones könnten helfen, das Vorlesedefizit der Väter abzubauen, sagte Moritz Müller-Wirth aus der „Zeit“-Chefredaktion. „Jeder fünfte Vater, der selten oder nie aus Büchern vorliest, ist für das Vorlesen mit Apps offen.“

Auch bildungsferne Familien können der Stiftung zufolge verstärkt erreicht werden. Smartphones und Tablets sind mit 74 und 27 Prozent in Familien mit niedrigerer Bildung laut Studie etwa ebenso verbreitet wie in Familien mit höherer Bildung (81 und 26 Prozent).

Digitale Angebote eignen sich der Studie zufolge insbesondere dafür, die Hemmschwelle zu überwinden, die Kinder anfangs vom Lesen abhält. „Es ist eine schöne Ergänzung“, sagt Esther Dopheide von der Stiftung Lesen. „Durch interaktive Elemente und Sound-Elemente entsteht ein anderer Lesereiz.“

Ab welchem Alter Kinder etwas mit digitalen Angeboten beim Vorlesen anfangen können, hängt von ihrer Entwicklung ab. „Das kann ganz unterschiedlich sein, da kennen die Eltern die Kinder am besten“, erklärt Dopheide. Durch Ausprobieren können Eltern schnell herausfinden, ob ihr Kind schon mit Apps umgehen kann. „Wenn die vielen Reize durch die App das Kind überfordern, sollte man es lassen.“ E-Reader sollten generell erst zum Einsatz kommen, wenn das Kind schon sicher lesen kann: Denn anders als mit der Vorlese-App liest das Kind mit dem E-Reader verstärkt allein.

Von den Inhalten lässt sich nicht sagen, was besser für die App oder für das klassische Buch geeignet ist. „Eigentlich kann man alles digitalisieren“, so Dopheide. Aber: Die Technik solle nicht nur um der Technik Willen eingesetzt werden, sondern zu den Inhalten passen. Wichtig sei in jedem Fall, dass sich die Eltern über schwierige Inhalte mit dem Kind austauschen - das Trägermedium spiele dafür aber keine Rolle.

Außerdem müssen sich auch die Eltern mit der neuen Technik wohlfühlen, damit das Vorlesen einen positiven Effekt hat. Denn wenn ihnen das Vorlesen mit Smartphone oder Tablet unangenehm ist, merken die Kinder das. Oft hegen Eltern bei der klassischen Gute-Nacht-Geschichte emotionale Vorbehalte gegen digitale Medien: Mit der „kalten Technik“ wollen sie nicht ins Bett. Für intime Momente empfiehlt sich dann ein Buch. „Für das Kind kommt es in erster Linie darauf an, gemeinsam mit den Eltern in eine Geschichte einzutauchen.“

Der Reiz der Technik hat einen weiteren Schwachpunkt: Er flaut sehr schnell wieder ab. Zwar bringen Apps und Co. insbesondere Jungen dazu, sich erstmals mit dem sonst oft als uncool empfundenen Lesen zu beschäftigen - aber nicht auf Dauer. Eltern sollten deshalb versuchen, aus dem ersten Reiz ein regelmäßiges Vorleseritual zu machen. „Und dabei ruhig mit Medien spielen, dann wird dem Kind vielleicht nicht so schnell langweilig“, rät Dopheide. So entsteht aus der Anfangsbegeisterung eventuell eine langfristige Bindung ans Lesen.

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