Von klein auf mehr lernen: Kinder zweisprachig erziehen

Berlin (dpa/tmn) - Mit Mama deutsch, mit Papa türkisch und im Kindergarten englisch: Viele Kinder wachsen mehrsprachig auf. Das kann viele Vorteile haben. Aus falsch verstandenem Ehrgeiz sollten Eltern aber nicht in einer fremden Sprache auf ihr Kind einreden.

„Mama, I want Saft!“ - dieser Satz ist auf einem deutschen Spielplatz längst nicht mehr exotisch. Viele Kinder wachsen mehrsprachig auf oder lernen früh Fremdsprachen. Zum Beispiel mit den eigenen Eltern, in einem bilingualen Kindergarten oder mit einem Kindermädchen. „Wenn Kinder damit aufwachsen, können sie zwei Sprachen ohne bewusste Anstrengung erlernen, und das ist natürlich ein riesiger Vorteil“, sagt die Erziehungswissenschaftlerin Anja Leist-Villis. Kinder lernen Sprachen nebenbei, während es für Erwachsene oft ein großer Aufwand ist.

Für Paare mit verschiedenen Muttersprachen ist laut Leist-Villis die zweisprachige Erziehung etwas ganz Natürliches. „Wenn es einen Königsweg gibt, dann den, dass Eltern die Sprachen mit dem Kind sprechen, die sie am besten beherrschen und in denen sie über den reichsten Wortschatz verfügen“, sagt Sprachwissenschaftlerin Elke Montanari. Henning Wode vom Verein für frühe Mehrsprachigkeit an Kitas und Schulen rät: „In mehrsprachigen Familien sollten Eltern versuchen, beide Sprachen zu pflegen.“

Binationale Paare sollten dabei aber auf einiges achten: „Ungünstig ist es, wenn ein Elternteil die Sprache des anderen überhaupt nicht versteht“, sagt Leist-Villis. Denn übersetzt die Mutter das Gesagte beispielsweise immer für den Vater, würden Kinder schnell nicht mehr die Notwendigkeit für das Lernen der zweiten Sprache sehen. Darüber hinaus ist es für die Eltern untereinander wichtig, dass sie verstehen, was ungefähr der Partner mit dem Kind bespricht, sagt Montanari.

Etwa 30 Prozent der Kinder wachsen mehrsprachig auf, schätzt Dietlinde Schrey-Dern vom Deutschen Bundesverband für Logopädie (DBL). Insbesondere Kinder aus Migrantenfamilien wachsen mit mehreren Sprachen auf. Kinder würden dabei mehrere Elemente lernen, etwa Gestik, Mimik und Aussprache. Maria Ringler vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften sieht darin eine große Chance. „Mehrere Sprachen öffnen mehrere Welten und den Zugang zu mehreren Kulturen.“

Schrey-Dern betont, dass Kinder kognitiv davon sehr stark profitieren können. „Sie lernen von Beginn an, zwischen zwei Systemen hin und her zu switchen“, sagt sie. Probleme sieht sie kaum. „Eventuell äußern sie sich nicht ganz so eloquent in einer Sprache, aber ab einem bestimmten Zeitpunkt sind sie im Vorteil.“

Kinder einfach in einer Fremdsprache zu erziehen, obwohl Eltern diese nicht als Muttersprache beherrschen, sehen die Experten nicht als Option. „Erstens werden die Eltern dann irgendwann an ihre eigenen Sprachgrenzen stoßen und zweitens wird die natürliche Kommunikation erschwert“, sagt Leist-Villis. „Seit raus ist, dass bilinguales Aufwachsen für die kognitive Entwicklung von Vorteil ist, denken viele Eltern: Och, ich spreche ja ganz gut englisch, dann erziehe ich mein Kind mal so“, kritisiert Schrey-Dern.

Wollen Eltern ihrem Kind eine zweite Sprache mit auf den Weg geben, rät Leist-Vilis zu einem spielerischen Zugang. „Den Spaß an der Sprache können auch einsprachige Eltern ihrem Kind vermitteln.“ Wichtig ist ihrer Ansicht nach der Bezug zur Sprache, der zum Beispiel durch ein Au-Pair-Mädchen hergestellt werden kann. „Die Vermittlung sollte von Muttersprachlern und kindgerecht erfolgen und nicht durch Vor- und Nachsprechen.“

Auch ein binationaler Kindergarten kann eine Option sein. Dann sollten Eltern sich gut über die Rahmenbedingungen informieren, rät Leist-Villis: „Wird die Sprache durch Muttersprachler vermittelt, wie viel Zeit wird dafür verwendet?“ Außerdem sollten möglichst nicht nur die Erzieher, sondern auch andere Kinder die Fremdsprache sprechen. „Die Chance, dass ein Kind eine andere Sprache lernt, steigt mit der Anzahl der Interaktionspartner“, sagt Schrey-Dern.

Das Vermischen von Sprachen sei kein Grund zur Sorge. „Das machen eigentlich alle Kinder, zum Beispiel wenn ein Wort in einer Sprache präsenter und schneller da ist“, sagt Leist-Villis.

„Der Erwerb zweier Sprachen ist niemals eine Überforderung für ein Kind, das Gehirn ist dafür ausgelegt“, sagte Leist-Villis. Ein Problem könnten aber die Rahmenbedingungen sein. „Wenn ein Kind zum Beispiel Türkisch lernt und ständig gesagt bekommt, 'Sprich deutsch, das wollen wir hier nicht hören.'“

Ringler vom Verband binationaler Familien kritisiert das deutsche Bildungssystem als zu monolingual. „Es wird nicht gesehen, dass zum Beispiel Deutsch-Türkisch oder Deutsch-Arabisch auch eine Ressource ist.“ Das kritisiert auch Leist-Villis: „In bildungspolitischer Sicht wird bei Sprachen wie Englisch und Französisch viel getan. Die Zweisprachigkeit, die Kinder schon mitbringen, wird häufig nicht so sehr geschätzt.“

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