TV für Babys ist grober Unfug

Derzeit gibt es sogar Programme für die Allerkleinsten. Das überfordert sie eher, als dass sie etwas lernen.

München. Die Zielgruppe wird immer jünger: Neue Fernsehangebote sollen schon Kinder ab sechs Monaten ansprechen - Säuglinge also. BabyTV und BabyFirst richten sich an Kinder bis drei Jahren. Beide Programme werden seit Ende Oktober 2008 von Unitymedia aus Köln im Digitalen Kabelnetz von Nordrhein-Westfalen und Hessen angeboten.

Kabel BW stellt BabyTV bereits seit 2005 allen Kabelhaushalten in Baden-Württemberg zur Verfügung. Wie viele das Programm nutzen, darüber gebe es aber keine Zahlen, sagt ein Sprecher von Kabel BW in Heidelberg. Medien- und Entwicklungspädagogen sehen die Programme äußerst kritisch.

"Das ist ganz grober Unfug", sagt Fabienne Becker-Stoll, Leiterin des Staatsinstitutes für Frühpädagogik in München. Das frühkindliche Gehirn sei noch sehr unreif. Damit neue Verbindungen im Gehirn entstehen und ein Kind lernen kann, brauche es die gleichzeitige Aktivierung von verschiedenen Hirnbereichen.

Neben Sinneseindrücken seien dafür vor allem Emotionen und Interaktion wichtig. "Das optimale Training für das Babygehirn ist eine feinfühlige Interaktion mit der Hauptbezugsperson", erklärt Becker-Stoll.

Die Babyprogramme im TV setzen dagegen auf bunte Bilder. Die Kinder bekommen Lieder vorgesungen und Wörter vorgesprochen, sie sollen erraten, welche Tiere sich hinter Geräuschen verbergen, und Objekte zuordnen. Und sie können zuschauen, wie Babys miteinander spielen. Das alles soll ihre Entwicklung fördern. BabyFirst verweist auf seiner Homepage auf ein Beratungsgremium mit Kinderpsychologen und Entwicklungsexperten, die das Programm unterstützen.

"Natürlich reagieren Babys auch auf Reize aus dem Fernseher wie Töne und Farben", sagt Nadine Kloos, Medienpädagogin beim "JFF - Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis" in München. "Aber was dahinter steckt, welche Botschaften transportiert werden, verstehen Kinder in diesem Alter noch nicht." Denn dafür müssten sie abstrahieren können.

Erst ab einem Alter von drei Jahren fingen Kinder an, altersangemessene Fernsehbotschaften zu verstehen. Dann könnten sie auch kurzen Sendungen folgen, erklärt die Redakteurin der Programmberatung "Flimmo".

Für frühkindliches Lernen sei es wichtig, dass die Aktivität vom Kind ausgeht und es prompte Reaktionen erfährt, erläutert Becker-Stoll. In der Interaktion mit den Eltern erlebten Kinder genau das: Sie handeln, und ihre Eltern reagieren - durch ein Lächeln, Trost oder eine Bewegung. Der Fernseher aber mache gar nichts. "Wenn sich das Kind wegdreht, geht der ja nicht aus."

Auch wenn die Programme nicht die Entwicklung fördern, können sie wenigstens unterhalten. Doch auch das sieht Becker-Stoll kritisch: "Die Bilder, Farben und Töne überfordern das Kind. Wenn es kann, wird es sich irgendwann wegdrehen." Entfliehen könne es den Geräuschen und Bildern aber nicht.

Die TV-Programme eignen sich Becker-Stoll zufolge also nicht als kurzzeitiger Babysitter, wenn die Mutter gerade anderes erledigen will. "Ich kenne das Dilemma", sagt die zweifache Mutter. "Man muss sich bei kleinen Kindern rechtzeitig um Unterstützung kümmern. Die Babyprogramme sind aber eine trügerische Lösung."

Das heißt nicht, dass Babys niemals vor dem Fernseher sitzen dürfen, findet Becker- Stoll: "Wenn die ganze Familie mit dem älteren Geschwisterkind Sandmännchen guckt und das Baby auf dem Schoß der Mutter sitzt, ist das völlig in Ordnung."

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