Koma-Saufen: Frühes Trinken fördert Abhängigkeit

Berlin (dpa/tmn) - Jugendliche greifen seltener zum Alkohol als früher - Experten machen ein Rekordtief seit den 1970er Jahren aus. Eine Trendwende sehen Experten aber nicht: Das Koma-Saufen geht weiter.

Und es kann schwerwiegende Folgen haben.

Die Jugend in Deutschland säuft sich teilweise ins Koma, trinkt aber insgesamt so wenig Alkohol wie nie. Das ist das Ergebnis einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zum Alkoholkonsum Jugendlicher und junger Erwachsener 2010, die am Freitag (4. Februar) in Berlin vorgestellt wurde.

Der Anteil der Jugendlichen, die sich vier Mal im Monat oder öfter in den Rausch trinken, ging demnach zwar im vergangenen Jahr nur wenig zurück. Der regelmäßige wöchentliche Alkoholkonsum sank aber auf den niedrigsten Stand seit den 1970er Jahren.

Der Anteil der 12- bis 17-Jährigen, die mindestens einmal pro Woche Alkohol trinken, halbierte sich innerhalb von rund 30 Jahren und sank von 25,4 Prozent 1979 auf 12,9 Prozent 2010. Bei den 18- bis 25-Jährigen halbierte sich der Wert ebenfalls und sank innerhalb von knapp 40 Jahren von 67,1 Prozent 1973 auf 34,5 Prozent.

Das Kampftrinken und das noch gefährlichere Komasaufen nimmt dabei aber nicht durchgängig ab. Rund ein Sechstel der minderjährigen Jugendlichen räumte Kampftrinken im vergangenen Monat ein - 2004 war es zwar noch fast ein Viertel (22,6 Prozent). Der Anteil derer, die mindestens vier Mal im Monat fünf Gläser oder mehr trinken, stagniert jedoch bei den 12- bis 17-jährigen Jungen bei einem Anteil von knapp 8 Prozent. Dagegen stieg die Zahl der jungen „Komasäufer“, die mit zu viel Alkohol ins Krankenhaus mussten, nach Erhebungen des Statistischen Bundesamtes von 2000 bis 2009 um 178 Prozent.

Beim Griff zum Glas spielt der Freundeskreis der Jugendlichen eine zentrale Rolle: Eine übergroße Mehrheit der 7000 Befragten gibt an, dass auch die meisten ihrer Freunde häufig Kampftrinken veranstalten. Die meisten trinken viel, um ausgelassen und locker zu sein.

Der erste Alkohol wird in der Gruppe der 12- bis 25-Jährigen immer später getrunken: Waren es 2004 noch durchschnittlich 14,1 Jahre, steigerte sich das Alter 2010 auf 14,5 Jahre, so die Ergebnisse der BZgA-Studie. Der erste Rausch kam 2004 noch mit 15,5 Jahren, nun erst mit 15,9 Jahren.

Für die Teenager können die frühen Trinkexzesse schwerwiegende Folgen haben: Wenn man sich schon mit 14 Jahren regelmäßig betrinkt, steigt das Risiko einer späteren Alkoholabhängigkeit. „Da gibt es einen klaren Zusammenhang, der seit vielen Jahren wissenschaftlich bewiesen ist“, sagt Raphael Gaßmann. „Je früher jemand mit dem Trinken anfängt, umso höher ist später die Wahrscheinlichkeit, abhängig zu werden und umso geringer, davon loszukommen“, erklärt der Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) in Hamm.

Dass frühes Trinken später besonders leicht in die Alkoholsucht führt, hängt dem Experten zufolge mit der körperlichen und psychischen Entwicklung zusammen. „Der Jugendliche baut den Alkohol als etwas ganz Normales in sein Leben ein.“ Denn das Gehirn lerne in der Pubertät vieles völlig neu - auch das Alkoholtrinken. „Wer dagegen mit 25 das erste Mal betrunken ist, wird kaum abhängig werden“, sagte Gaßmann. Ob eher der Körper oder der Kopf das Trinken „lernt“, darüber stritten die Forscher schon lange. „Beides hat einen erheblichen Ausschlag.“

Etwa 10 bis 20 Jahre brauche es, bis sich eine richtige Alkoholabhängigkeit entwickelt, sagt Gaßmann. „Aber es gibt auch 25-Jährige, die süchtig sind. Die haben in aller Regel sehr früh mit dem Trinken angefangen.“ Es sei besonders wichtig, das Einstiegsalter möglichst nach hinten zu verschieben, mahnt der Suchtexperte. „Je höher es liegt, umso weniger Alkoholiker haben wir.“

Dass beim Thema Alkohol besonders auf Jugendliche geschaut wird, sei zwar richtig, wirke aber häufig unglaubwürdig. „Der Vorwurf an die Erwachsenen lautet: Ihr trinkt doch selbst, ihr verkauft uns das Zeug, und ihr macht Werbung dafür“, sagt Gaßmann. Gerade die 35- bis 45-Jährigen konsumierten besonders viel Alkohol. Dass die Zahlen in dieser Altersgruppe nicht steigen, habe einen einfachen Grund: „Die können kaum noch mehr trinken.“ Insgesamt habe sich das Trinkverhalten geändert. „Am Wochenende wird stärker getrunken als früher: „Da heißt es regelmäßig 'Gib ihm'.“

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