Geschlechtsneutrale Erziehung: Jenseits von Puppe und Bagger

Manche Eltern wollen ihre Kinder geschlechtsneutral erziehen. Doch völlig ignorieren lassen sich Rollenbilder nicht.

Hamburg. „Finden Jungs Bagger einfach so gut, oder weil sie gleich nach der Geburt ein Bagger-T-Shirt bekommen?“, fragt eine Mutter. Eine andere ist froh, dass die beiden Töchter ihre Puppenhäuser jetzt selbst bauen: Lego hat eine Reihe extra für Mädchen auf den Markt gebracht.

Nicht nur auf Spielplätzen, auch in der Wissenschaft wird debattiert: Zu welchen Teilen bestimmen Gene, Hormone und Erziehung die Interessen und das Verhalten von Jungs und Mädchen?

Ja, es gibt Unterschiede im Gehirn, schreibt die US-Neurowissenschaftlerin Lise Eliot in ihrem Buch „Pink Brain, Blue Brain“ (rosa Gehirn - blaues Gehirn). Für ihr Werk hat sie zahlreiche Studien analysiert. Die Unterschiede seien aber gering und das kindliche Gehirn so formbar, dass die geschlechtsspezifischen Stereotypen erst vom Umfeld mit der Zeit geprägt werden.

„Das Geschlecht gehört in unserer Gesellschaft zu den Merkmalen, die identitätsbildend sind. Es ist für uns alle irritierend, wenn wir jemanden vor uns haben und nicht wissen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt“, sagt die Erziehungswissenschaftlerin Hannelore Faulstich-Wieland von der Universität Hamburg. Es sei für Kinder wichtig, eine Orientierung zu haben.

Die andere Frage sei: Was verbiete ich meinem Kind? „Wenn es für ein Mädchen gerade wichtig ist, gemeinsam mit Freundinnen eine rosa Phase zu haben, sollte man das nicht verbieten. Genau das würde ich aber auch empfehlen, wenn ein Mädchen Fußball spielen will“, sagt Faulstich-Wieland.

Es gehe darum zu sagen: „’Du bist ein richtiges Mädchen oder ein richtiger Junge, egal für was du dich interessierst.’ Ich denke, Eltern sollten damit locker umgehen.“

Von der Spielzeugindustrie wünscht sich die Erziehungswissenschaftlerin allerdings, dass sie keine Geschlechterzuordnung bei den Spielsachen vornehmen würde, das würde den Kindern aus ihrer Sicht helfen.

Aus Unterrichtsbeobachtungen wüssten die Pädagogen: Bei unangepassten Mädchen, die nicht sozial, engagiert und inhaltlich orientiert seien, werde pädagogisch „am stärksten reagiert“.

„Alles was bei diesen Mädchen aus dem Rahmen fällt, wird als sehr negativ bewertet. Motorisch sehr aufgeweckte Jungs hingegen werden vor allem in der Pubertät negativ beurteilt und schnell nur noch als Störer bezeichnet“, sagt Proll.

Einige Baustellen bleiben also — auch bei der Berufswahl. Mädchen wählen weiterhin seltener mathematisch-technische Berufe, Jungen weniger soziale Tätigkeitsfelder, sagt Proll. Die Auswahl des Spielzeugs spiele eine Rolle bei der Prägung, sei aber nicht alleine entscheidend.

„Wenn Kinder mit Technik früh Erfahrungen sammeln können, steigt auch das Interesse an solch einem Beruf. Aber: Wenn ich einem Mädchen einen Werkzeugkoffer schenke, und es sieht nie eine Frau, die einen Hammer in der Hand hält, dann wird das Mädchen wahrscheinlich auch nicht damit spielen.“

Schon in frühen Jahren wollen Kinder herausfinden, wie sich Jungs und Mädchen unterscheiden. „Die Identitätsbildung beginnt schon im Kleinkindalter, da geht es zunächst um das Ich und die Abgrenzung von anderen. Dann kommt hinzu, sich mit Mama und Papa zu vergleichen“, sagt Karin Jacob vom SOS-Familienzentrum Berlin.

„Ich glaube, dass wir offener geworden sind und es mehr Freiheiten gibt. Ich denke aber auch, dass die Geschlechter immer noch sehr unterschiedlich erzogen werden. Auch die Spielzeugindustrie mit ihren getrennten Spielwelten kann nur so erfolgreich sein, weil sie etwas in uns als Eltern trifft“, sagt Jacob, die Vorstandsmitglied in der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung ist.

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