Fernbeziehungen funktionieren nur mit viel Reden

Mannheim (dpa/tmn) - Der Job trennt nicht selten Familien. Vor allem Kinder reagieren empfindlich, wenn ein Elternteil ständig weg ist. Den Kontakt über Internet und Telefon aufrecht zu erhalten, ist deshalb besonders wichtig.

So verlieren Eltern nicht den Anschluss.

Den Partner und die Kinder an einem, den Beruf am anderen Ort: Für viele Familien ist der getrennte Alltag leidiges Muss. Nach Schätzungen der Universität Mainz lebt aufgrund gesteigerter Flexibilität im Beruf fast jedes achte Paar in Deutschland eine Fernbeziehung. „Kinder trifft diese Trennung besonders“, sagt Andreas Hundsalz, Diplom-Psychologe aus Mannheim. „Kinder brauchen beide Elternteile.“

Nicht nur die Kinder sind mit dem „unvollständigen“ Familienleben unzufrieden. Auch Erwachsene leiden. Freiwillig würde sich kaum jemand dieses Lebensmodell aussuchen, glaubt Elke Leger, Psychologin und Autorin aus Hannover: „Wer eine Familie gründet, möchte Nähe und einen gemeinsamen Alltag.“ Die Trennung aufgrund des Berufs entspräche genau dem Gegenteil und „kann zu Gefühlen starker Entbehrung führen.“

Morgens zusammen frühstücken, die Kinder zum Kindergarten bringen, spielen und kuscheln: All das, was in „normalen“ Familien selbstverständlich ist, fehlt. „Es gibt Menschen, die kommen mit diesem Wechsel zwischen Distanz und Nähe ganz gut zurecht“, sagt Thomas Gerling-Nörenberg, Familientherapeut aus Münster. „Die entscheidende Frage ist immer, wie stark die Verbindung zwischen den Familienmitgliedern auch in der Ferne ist.“

Die Trennung fordert jedes Familienmitglied anders. Für kleine Kinder ist es sehr abstrakt, wenn Mutter oder Vater für längere Zeit wegfahren. „Kinder haben noch kein Zeitgefühl, erleben nur, dass jemand fehlt“, erklärt Hundsalz. Die Traurigkeit „wenn Papa wieder weg muss“ sei oft sehr stark. „Kleine Kinder trauern regelrecht“, sagt Gerling-Nörenberg. Klassische Trostworte wie „Ach, der Papa kommt doch in ein paar Tagen wieder“, helfen Kindern in ihrer Not nur wenig. „Kinder können mit diesen Erwachsenenaussagen nichts anfangen.“ Viel wichtiger sei es, die Gefühle der Kinder ernst zu nehmen: „Ich finde es auch schade, dass Papa schon wieder weg muss!“.

Zur Erleichterung der Situation können Rituale sinnvoll sein, wie zum Beispiel nach der väterlichen Abreise eine Kuschelstunde mit der Mama oder ein gemeinsames Abendbrot. Auch kleine Stellvertreter wie Fotos vom Vater oder ein „Ersatz-Kuscheltier“ können Tränen trocknen.

So schmerzlich, wie der Abschied war, so frostig kann auch der Empfang sein: „Nach einem längeren Abschied fremdeln Kinder oder zeigen, dass sie die Trennung übelnehmen“, sagt Hundsalz. „Das ist natürlich schmerzhaft für das Elternteil, der weg war und erfordert bei der Rückkehr viel Verständnis und Fingerspitzengefühl.“ Auch bei größeren Kindern hat der Abschied seine Tücken. „Man muss als Elternteil, der wegfährt, extra viel Interesse an den Kindern zeigen“, glaubt Hundsalz, „sonst läuft man Gefahr, sich auseinander zu leben.“

Ob Stress in der Schule oder Streit mit der besten Freundin: „Der ferne Elternteil sollte auf dem Laufenden sein über den Tagesablauf und die Erlebnisse des Kindes“, sagt Elke Leger. Hundsalz warnt eindringlich davor, den Job an erster Stelle zu sehen: „Lassen Sie sich nicht zu stark von der beruflichen Situation einspannen, behalten Sie Ihre Familie im Blick!“. Ob Schulfeier, Klaviervorspiel, ein wichtiger Arzttermin oder der große Blues aus Liebeskummer: „Es gibt diese Situationen, da muss man als Elternteil einfach da sein.“ Hundsalz empfiehlt dem berufstätigen Elternteil aus diesem Grund Gespräche mit Kollegen und dem Vorgesetzten zu führen: „Es ist wichtig, dass Ihre Lebenssituation auch in der Firma bekannt ist.“

Reden, reden, reden, so lautet die Erfolgsformel für Fernbeziehungen: „Kommunikation ist das 'Dazwischen' im Nähe- und Distanz-Problem“ formuliert es Gerling-Nörenberg. So oft wie möglich telefonieren oder über das Internet Familienkonferenzen abhalten: „Die modernen Medien machen es wirklich einfach, miteinander in Kontakt zu sein“, sagt Hundsalz. „Kontakt, über welche Kanäle auch immer, ist das wichtigste in der Trennungsphase“, sagt Leger.

Auch für die Paarbeziehung ist der regelmäßige Austausch das A und O. Während derjenige, der die Familie immer wieder verlassen muss, oft Schuldgefühle entwickelt und sich oft ausgeschlossen vorkommt, empfindet derjenige, der zu Hause bleibt, eher das Gefühl, mit allem alleine zu sein. „Unbewusst wird dem anderen vielleicht sogar zum Vorwurf gemacht, dass er am Alltag nicht teilnimmt“, sagt Leger.

Über Erziehungsfragen und Probleme sprechen, sich vom gegenseitigen Alltag erzählen, sich auch ausheulen oder gemeinsam freuen können: „Fernbeziehungen müssen jeden Tag daran arbeiten, ihre Verbindung zu stärken“, sagt Gerling-Nörenberg. Hundsalz empfiehlt zusätzlich ein starkes Netzwerk aus Verwandten und Freunden: „Auch wenn die Partnerschaft trotz Trennung gut funktioniert, braucht man Menschen, die wirklich da sind.“

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