Familie - Zufluchtsort oder Schlachtfeld?

Bis in die unteren Schichten wird Gewalt abgelehnt, trotzdem findet sie statt.

Halle. Es vergeht keine Woche, in der nicht Meldungen von Kindesmisshandlungen Schlagzeilen machen. Bundesweit werden pro Jahr etwa 2900 Fälle aktenkundig - wobei die Dunkelziffer bis zu 90 mal höher liegt. Andere Statistiken belegen gleichzeitig, dass die Gewalt in der Familie zurückgeht. Die Situation ist paradox.

"Wenn Sie Opfer von Gewalt werden wollen, gründen Sie eine Familie", sagt Kai-Detlef Bussmann. Der Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Halle-Wittenberg kommt in seinen Studien zu dem Schluss, dass 15 bis 20 Prozent der Jugendlichen in Deutschland eine Erziehung mit Gewalt erfahren. Zwei bis drei Millionen Kinder werden in dieser Zeit mindestens einmal schwer misshandelt.

Die Zahlen sind eindeutig. Und doch wehrt sich Bussmann dagegen, die Familie als Hort von Schlägern und Gewalttätern zu bezeichnen. "Bis in die unteren Schichten ist das Gewalttabu inzwischen konsensfähig", sagt der Kriminologe. Die Gleichung "einfache Bildung = hohe Gewaltbereitschaft" sei nicht haltbar. "Seit Anfang der 90er Jahre ist weltweit zu beobachten, dass Gewalt als Mittel zur Konfliktlösung abgelehnt wird."

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt das Generationen-Barometer 2006, demzufolge 76 Prozent der Menschen in Deutschland die Familie als wichtigsten Lebensbereich bezeichnen. Das Gros verbindet damit positive Werte wie gegenseitige Hilfe (82 Prozent), Vertrauen (78 Prozent) und Liebe (77 Prozent). Die Umfrage zeigt auch, dass Eltern ihre Kinder heute weniger autoritär erziehen als vor 20 Jahren.

Das Gesetz Im November 2000 hat der Bundestag das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung verabschiedet. Seither heißt es im Bürgerlichen Gesetzbuch: "Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig."

Die Intention Das Gesetz zielt insbesondere darauf ab, Eltern klar zu machen, dass auch leichtere Formen von Gewalt, wie scheinbar harmlose Ohrfeigen oder Schläge mit der flachen Hand, keine geeigneten Erziehungsmittel sind.

Die These Die Gewalt in der Familie geht zurück. Der Kriminologe Kai-Detlef Bussmann führt dies jedoch nicht auf das Gesetz zurück, sondern auf eine Veränderung der Erziehungsstile. Im Herbst plant er mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft eine neue Studie - vermutlich unter Beteiligung von Deutschland, Spanien, Österreich und Schweden -, mit der er seine These untermauern will.

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