E-Mail-Hilfe für Jugendliche in Krisen: Ich kann nicht mehr

Gelsenkirchen (dpa) - „Ich werde in der Schule geärgert“, „Ich werde zu Hause geschlagen“, „Ich kann nicht mehr“. Marens Posteingang ist voll mit Nachrichten wie diesen. Wer der 18-Jährigen schreibt, hat aufgegeben, sieht keinen Sinn mehr im Leben oder schlimmstenfalls nur noch: den Tod.

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Maren gehört zu den 27 ehrenamtlichen Helfern, die in Gelsenkirchen bei einer E-Mail-Hilfe für suizidgefährdete Jugendliche mitmachen. Es ist nicht mehr nur die klassische Telefon-Seelsorge, die niedrigschwellig Beratung bietet: Im Internet entstehen immer mehr Formen der „Sprechstunde“.

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Zum Beispiel bietet die Paritätische Online-Beratung Beistand von Trauer bis Drogensucht. In Einzel- und Gruppenchats will die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) bei Essstörungen helfen. Und neben ihren Beratungsstellen vor Ort will Pro Familia auch im Netz bei Themen wie Partnerschaft, Sexualität und Schwangerschaft eine Orientierung bieten.

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Das Online-Beratungsprogramm U25 der Caritas richtet sich speziell an junge Menschen, die in persönlichen Krisen stecken - und sie werden unterstützt von Gleichaltrigen wie Maren. „Man merkt ganz stark, wie dringend notwendig es ist, dass man seine Hilfe anbietet, gerade für Menschen, denen niemand nahe steht“, sagt die 18-Jährige.

Die Internetseite von U25 funktioniert wie eine Art digitaler Kummerkasten. Junge Menschen unter 25 können sich auf dem Portal anonym anmelden und ihre Botschaft hinterlassen. Anschließend stellt sich ein Berater bei dem Betroffenen mit Text und Foto vor und nimmt sich den Sorgen an - in Gelsenkirchen sind das Schüler, Studenten oder Erzieher im Alter von 16 bis 23 Jahren.

Bei der Caritas gibt es inzwischen 130 solcher Freiwilligen, die die Nachrichten von Berlin, Gelsenkirchen, Dresden, Freiburg und Hamburg aus beantworten. Wissen die Helfer nicht weiter, wenden sie sich an Familien-Experten oder Psychotherapeuten, erklärt die Gelsenkirchener Projektleiterin Vivien Lowin. Und: „Es geht keine Mail raus, ohne dass ich drübergeschaut habe.“

Zusätzliche Caritas-Stellen sollen demnächst auch in Paderborn, Dortmund und Biberach geschaffen werden. Mehr als 860 Kinder und Jugendliche haben sich 2014 an speziell ausgebildete Peer-Berater wie Maren gewandt. „Sie sprechen die gleiche Sprache, sie haben große Empathie, sie können Jugendliche besser verstehen und finden leichter einen Zugang zu ihnen“, sagt eine Caritas-Sprecherin.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts sind 550 junge Menschen bis 25 Jahren 2014 in Deutschland durch Suizid gestorben. Neben Unfällen und Gewalteinwirkungen zählen Selbsttötungen zu den häufigsten Todesursachen bei Kindern und Jugendlichen.

Doch gegen die Online-Beratung durch Gleichaltrige gibt es auch Vorbehalte: „Unserer Erfahrung nach geraten Jugendliche im Austausch untereinander in eine Sackgasse. Nachzufragen verleitet Jugendliche, noch tiefer in den eigenen Abgrund zu blicken“, sagt Maria Große Perdekamp, Leiterin der Online-Beratung der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke).

Bei der Online-Beratung der bke kümmern sich 86 ausgebildete Psychologen und Pädagogen um die Sorgen und Nöte der Jugendlichen. Mehr als 3000 junge Nutzer haben sich allein 2014 auf der Homepage der Jugendberatung registriert. Vor 13 Jahren wurde das Beratungsangebot von den Jugendministern aller Bundesländer ins Leben gerufen. „Wir versuchen, die Negativ-Spirale zu stoppen und den Betroffenen das Signal mitzugeben: Wir unterstützen dich, in deinem Leben etwas zu verändern.“

Auch Fredi Lang vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BdP) sieht die psychologische Betreuung durch Gleichaltrige skeptisch. „Gerade bei schwerwiegenden Problemen können Laienberatungen keine intensive psychologische Beratung ersetzen“, sagt sie. „Andererseits sind solche Angebote gute Eintrittspforten, um den Bedarf einer internetaffinen Zielgruppe aufzugreifen und Schwellenängste abzubauen.“

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