Berufswahl so früh wie möglich planen

Bielefeld (dpa/tmn) - Wie finde ich heraus, was aus mir werden soll? Nach der Schule eröffnen sich viele Wege. Jugendliche sollten deshalb über ihre Stärken, Schwächen und Vorlieben Bescheid wissen.

Im Zweifel können Freunde und Eltern bei der Selbsteinschätzung helfen.

Das letzte Schuljahr steht bevor, die Prüfungen rücken in greifbare Nähe. Doch was tun, wenn der Abschluss geschafft ist? Lehre? Studium? Oder vielleicht erstmal ins Ausland? Von den Möglichkeiten, die sich für die Zukunft auftun, sind viele angehende Absolventen überfordert. „Im letzten Schuljahr wächst der Entscheidungsdruck auf die jungen Leute“, sagt Mechthild Oechsle von der Universität Bielefeld, die für eine Studie 60 Abiturienten fünf Jahre lang bei der Berufsfindung begleitet hat. Ein Teil der Jugendlichen reagierte auf den Druck mit einem „Vogel-Strauß-Verhalten“, so die Soziologieprofessorin. „Sie ducken sich weg vor dem Berg an Entscheidungen, der sich vor ihnen aufbaut.“

Verdrängung und Angst, das muss nicht sein. Oechsle rät Schülern dazu, sich so früh wie möglich mit dem Thema Zukunftsplanung auseinander zu setzen. „Bereits zwei Jahre vor dem Schulabschluss sollte man sich die entscheidenden Fragen stellen: Wer bin ich? Was kann ich? Was will ich werden?“ Am Anfang sollte eine Selbsterforschung stehen. Die eigenen Stärken, Schwächen und Interessen könne man beim Ausfüllen eines Tests beantworten. Wer gut rechnen kann, am Umgang mit Menschen und einer planbaren Karriere interessiert ist, für den könnte eine Banklehre in Frage kommen. Allerdings nur mit dem entsprechenden Schulabschluss. „Man sollte die Perspektiven realistisch sehen“, warnt Oechsle. „Mit einem Hauptschulabschluss wird man kaum eine Banklehre finden, mit schlechten Mathenoten auch nicht.“ Gespräche mit Eltern, Lehrern und Freunden helfen bei der Selbsteinschätzung. Ältere Bekannte zu befragen, lohne sich besonders, so Oechsle. Ob einem das Studium liege, erfahre man im persönlichen Gespräch oft besser als durch Unibroschüren.

Lieber vorher informieren, als nachher hinwerfen, rät auch Ilona Mirtschin, Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. Die Arbeitsmarktexpertin empfiehlt Absolventen, sich bei der Berufswahl an den eigenen Interessen und Fähigkeiten zu orientieren. „Die Erfahrung zeigt, dass Jugendliche, die sich den Eltern oder dem Arbeitsmarkt anpassen, später häufiger ihre Ausbildung abbrechen.“ Ein Beruf, den man lange Zeit ausübt, müsse schließlich Spaß machen. Außerdem schwanke die Lage am Arbeitsmarkt: „Wenn jetzt Köche gefragt sind, kann das in drei Jahren schon wieder ganz anders aussehen.“ Mirtschin empfiehlt einen Besuch in der Berufsberatung. Dort können sich Jugendliche über Berufsbilder und freie Ausbildungsplätze informieren. Für Abiturienten komme nicht nur ein Studium infrage, sie hätten auch in Lehrberufen gute Karrierechancen, sagt die Arbeitsmarktexpertin. Dafür müsse man sich aber beizeiten entscheiden: „Bewerbungen sollten bereits am Anfang des letzten Schuljahres verschickt werden, später wird es eng.“

Das Thema Berufswahl sollte man angehen wie ein Projekt, „etappenweise und mit Geduld“, sagt Jan Bohlken. Der Gründer des privaten Profiling Instituts in Düsseldorf berät Jugendliche bei der Suche nach ihrem Traumberuf - und setzt dabei auf das Lustprinzip: „Nur wenn man etwas gerne tut, ist man gut. Und wer gut ist, kommt auch voran.“ Durch Praktika während der Schulzeit oder einen Schnuppertag im Büro der Eltern können Schüler erste Praxisluft schnuppern. Die Frage, die sie sich dann stellen müssen, laute: „Womit kann ich mir vorstellen, eine längere Zeit zu verbringen?“ Eine Faszination für Autos sei ein erster Anhaltspunkt. Wenn sich aber bei der Aussicht, Tag für Tag im Laden zu stehen, Langeweile einstelle, sei Autohändler vielleicht doch nicht das Richtige.

Also erstmal ins Ausland und später weiter sehen? Auslandsaufenthalte seien zwar wichtig, die Zukunftsplanung sollte man aber lieber zu Hause angehen, wo weniger Ablenkung herrsche, sagt der Coach. Dabei müsse sich jeder ehrlich fragen, was er von der eigenen Zukunft erwartet: „Wem Familie sehr wichtig ist, sollte auf flexibel einteilbare Arbeitszeiten achten, wer Selbstverwirklichung sucht, sollte eher nicht in die Verwaltung gehen.“

Niemand verlange, dass Jugendliche bis zur Rente planen, beruhigt die Soziologin Mechtild Oechsle. „Man wählt nicht mehr einen Beruf fürs Leben, sondern für einen Lebensabschnitt. Wer das im Kopf hat, verliert eher die Angst vor der Berufswahl.“ Statt den „Vogel Strauß“ zu spielen, könnte es sich daher lohnen, über die Abschlussprüfung hinaus zu denken und die Planung für die Feier zu übernehmen. Dabei kann man erkennen, ob man Planer, Macher oder Kreativer ist. Ein erster Schritt auf dem Weg in die berufliche Zukunft.

Service:

Oechsle, Mechtild/Knauf, Helen/u.a.: Abitur und was dann? Berufsorientierung und Lebensplanung junger Frauen und Männer und der Einfluss von Schule und Eltern. 349 S., ab 37,20 Euro, ISBN 9783810039255.

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