Scheitern als Chance Auch Einzelne brauchen Fehlerkultur

Mittenaar (dpa/tmn) - „Aus Fehlern wird man klug.“ Gesagt hat das fast jeder schon mal - aber längst nicht jeder lebt danach. Gerade im Job haben viele Menschen ein Problem mit dem Scheitern.

Scheitern als Chance: Auch Einzelne brauchen Fehlerkultur
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Dabei lässt sich aus kleinen und großen Missgeschicken viel lernen, sagt Ben Schulz, Autor und Berater für Führungskräfte. Ein Gespräch über individuelle Fehlerkultur und veraltete Bilder von Männlichkeit.

Herr Schulz, was ist eigentlich Scheitern?

Ben Schulz: Für den Begriff Scheitern gibt es keine allgemeingültige Definition. Das ist eine Typfrage - ob ich ein kleines Missgeschick oder einen Misserfolg zum Beispiel schon als Scheitern empfinde, oder ob es dafür wirklich eine richtige Katastrophe braucht.

Was sind das für Menschen, die schon kleine Fehler als Scheitern empfinden?

Schulz: Das sind oft Menschen, die hohe Erwartungen an sich haben. In der Psychologie spricht man von Antreibern oder Glaubenssätzen, die jeder Mensch hat — wenn mein Antreiber zum Beispiel ist „Ich muss stark sein„, dann reagiere ich natürlich empfindlicher auf Fehler. Und für Perfektionisten sind Fehler natürlich ein No-Go.

Und wie wirkt sich das in der Praxis aus?

Schulz: Je mehr ich so ticke, desto heftiger reagiere ich auf eigene Fehler. Man spricht ja oft von Fehlerkultur, in Teams oder ganzen Unternehmen. Wenn ich zum Beispiel weiß, dass ich beim kleinsten Missgeschick schon richtig Ärger mit dem Chef bekomme, gehe ich da anders mit um. Und genau so gibt es auch individuelle Fehlerkultur — also die Frage, ob ich mir selber Fehler verzeihe oder ob ich das als Stresssituation erlebe.

Ist das automatisch schlecht? Perfektionismus zum Beispiel hat ja auch eine positive Seite.

Schulz: Das kommt auf den Job an, beziehungsweise auf das Setting. Wenn Sie Arbeitgeber sind, stellen Sie als Buchhalter natürlich jemanden ein, der eher perfektionistisch ist. Da brauchen Sie keinen, der das alles locker angeht und auch mal Fünfe gerade sein lässt.

Gibt es bestimmte Gruppen, die für diesen problematischen Umgang mit Fehlern anfälliger sind als andere?

Schulz: Scheitern möchte zunächst einmal keiner. Es gibt aber einen gewissen gesellschaftlichen Druck, der dafür sorgt, dass zum Beispiel viele Männer Probleme mit dem Scheitern haben: Wer seinen Job verliert, erleidet einen Gesichtsverlust, weil er als Ernährer der Familie gescheitert ist — zumindest nach diesem sehr traditionellen Geschlechterbild. Und aus dem gleichen Grund, wegen diesem alten Bild von Männlichkeit, haben viele Männer mit Schwäche generell ein Problem.

„Echte Männer weinen nicht?“

Schulz: Genau. Oder „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“, oder „Bist du Mann oder Maus?“ Das sind solche Sätze, die sind schnell dahingesagt, aber sie prägen dieses Bild von Männlichkeit.

Wie sieht es denn umgekehrt aus — wie äußert es sich, wenn ich einen sehr lockeren Umgang mit eigenen Fehlern habe?

Schulz: Auch das ist sehr individuell. Es gibt zum Beispiel Menschen, denen die Anerkennung anderer egal ist. Die haben das, was andere als Scheitern empfinden, schnell verstoffwechselt, und können daraus lernen. Und dann gibt es Menschen, die sich mit der Angst vor dem Scheitern selbst im Wege stehen — und diesen Lernsituationen versuchen aus dem Weg zu gehen.

Kann man richtiges Scheitern trainieren?

Schulz: Erlernbar ist erst einmal alles, wenn ich die Bereitschaft dazu habe. Und ja, es ist gleichzeitig auch eine Sache der Persönlichkeit. Dafür muss ich mich aber erst einmal selber kennen. Und die Frage ist dann immer noch, ob ich nicht einfach ein Setting wähle, das artgerecht ist — das also zu meiner Persönlichkeit passt. Wer mit Scheitern nicht gut umgehen kann, sollte vielleicht nicht in Jobs arbeiten, in denen Fehler quasi dazugehören, in Start-ups zum Beispiel. Das hält so jemand vermutlich kein halbes Jahr durch.

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