Interview Wissenschaftlerin zum kurdisch-türkischen Konflikt: Krieg kennt nur Verlierer

Die türkisch-deutsche Politikwissenschaftlerin Rosa Burç über den Konflikt im Südosten der Türkei und die Rolle Deutschlands.

Interview: Wissenschaftlerin zum kurdisch-türkischen Konflikt: Krieg kennt nur Verlierer
Foto: dpa

Düsseldorf/Bonn. Hunderte Zivilisten, Polizisten und Soldaten sind in den vorigen Monaten bei Kämpfen im Südosten der Türkei ums Leben gekommen. Türkische Sicherheitskräfte operieren in den von Kurden bewohnten Gebieten gegen angebliche Kämpfer der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). In vielen Städten wie Diyarbakir, Silopi oder Cizre herrschen seit Dezember ganztägige Ausgangssperren. Nach Armeeangaben wurden mehr als 850 PKK-Kämpfer getötet. Laut der pro-kurdischen Partei HDP kamen mindestens 277 Zivilisten ums Leben.

Rosa Burç ist Politikwissenschaftlerin an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn und spricht explizit von einem Krieg in den Kurdengebieten. Sie selbst hat türkisch-kurdische Wurzeln und deshalb neben dem wissenschaftlichen auch einen persönlichen Blick auf die Lage. Im Interview erzählt sie, wo die Ursachen des Konfliktes liegen, warum die Lage seit dem vorigen Sommer eskaliert ist und wo Lösungsansätze liegen.

Frau Burc, Sie sind in Deutschland geboren, haben türkisch-kurdische Eltern, wie sehen Sie sich selbst?

Rosa Burç:
Beide Identitäten, die deutsche als auch die türkisch-kurdische, sind gleichermaßen stark ausgeprägt. Die aktuelle Situation verlangt es jedoch, dass ich mit einem Bein in der Türkei stehe — und dort aufseiten der Unterdrückten.

Sie meinen damit die Kurden in der Türkei?

Burç:
Ich meine damit alle Minderheiten, die seit Gründung der Türkei unter massiven Repressionen leiden. Es ist heute sehr wichtig, Solidarität mit der Zivilbevölkerung zu zeigen, die erneut einer staatlichen Aggression ausgesetzt ist. Und ja, die Kurden sind heute vor allem davon betroffen. Sie wurden in der Geschichte schon immer unterdrückt, aber heute erleben wir eine Situation, in der Kurden im Mittleren Osten immer mehr zum Akteur werden und ihre Rechte auf Selbstbestimmung und Freiheit auch immer mehr einfordern.

Interview: Wissenschaftlerin zum kurdisch-türkischen Konflikt: Krieg kennt nur Verlierer
Foto: Olaf Steinacker

Sie verwenden sehr explizit den Begriff Krieg für das, was gerade in der Südosttürkei geschieht — warum?

Burç
: Seit mehr als 30 Jahren gibt es schon den Konflikt zwischen der Türkei und der PKK, die nach ihrer Gründung in den 70er Jahren zunächst für einen unabhängigen Kurdenstaat gekämpft hat. Seit dieser Zeit gab es viele militärische Auseinandersetzungen, die an einen Bürgerkrieg erinnerten — auch, weil die PKK mit militanten Aktionen vorgegangen ist. Aber das hat sich ungefähr ab dem Jahr 1993 geändert.

Seit diesem Zeitpunkt hat sich die PKK von dem Paradigma eines eigenen Nationalstaates verabschiedet und stattdessen darauf gesetzt, dass die Kurden durch mehr Autonomie als gleichberechtigte Bürger in den jeweiligen Staaten leben können. Ich spreche heute von Krieg, weil wir bis zum vorigen Sommer eigentlich auf einem guten Weg waren. Zum ersten Mal hatte es bei den Parlamentswahlen im Juni mit der HDP eine progressive pro-kurdische Partei geschafft, die anti-demokratische Zehn-Prozent-Hürde, ein Erbe des Militärputsches von 1980, zu überwinden und in die Nationalversammlung einzuziehen.

Der Friedensprozess mit der PKK war weit vorangeschritten, und es herrschte eine hoffnungsvolle Stimmung. Wir als Politikwissenschaftler sind eigentlich davon ausgegangen, dass der Friedensprozess so weit vorangeschritten war, dass es zu ihm und somit zur Demokratisierung keine Alternative mehr geben konnte. Nun erleben wir, wie unter dem Deckmantel von einer Anti-Terror-Operation Zivilisten angegriffen werden. Deshalb spreche ich von einem Krieg.

Warum war die Parlamentswahl im Juni so wichtig?

Burç:
Es war und ist das erklärte Ziel des türkischen Staatspräsidenten Erdogan, die Türkei in ein autoritäres Präsidialsystem umzubauen, in der die Gewaltenteilung quasi aufgehoben wird. Dies wäre nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit möglich gewesen, die seine Partei AKP aber verpasst hat — auch wegen des Erfolges der HDP. Das war ein herber Rückschlag für Erdogan. Nun versucht er, die Kurden auf militärischem Weg zu bekämpfen. Ausgangssperren wurden ja vor allem über diejenigen Städte verhängt, in denen die HDP im Juni besonders stark abgeschnitten hatte. Ziel ist es, die ultra-nationalistischen Stimmen für sich zu gewinnen und die HDP unter die Zehn-Prozent-Hürde zu pressen.

Nach dem Anschlag von Ankara mit 28 Toten droht der Konflikt mit den Kurden auf Syrien überzuspringen . . .

Burç:
Die Türkei hat die Urheberschaft des Attentats schnell bei den Kurden festgemacht, das passt absolut zur aktuellen Eskalationsstrategie. Die außen- und innenpolitischen Ambitionen Erdogans muss man dabei zusammen betrachten. Im Inneren will er, wie gesagt, die alleinige Regierung seiner islamisch-konservativen AKP und den Umbau des Landes in das Präsidialsystem vorantreiben. Nach außen geht es darum, einen muslimisch-sunnitischen Block mit einer starken Türkei als Hegemon in der Region zu installieren. Eine autonome oder gar unabhängige Region, wie sie die Kurden in Rojava, Nordsyrien, anstreben, passt überhaupt nicht in diesen Plan. Die Türkei will in Syrien jegliche kurdische Selbstbestimmung unterbinden. Auch und vor allem mit Blick auf die Kurden im eigenen Land. Ich gehe von einer weiteren Eskalation aus.

In den 90er Jahren wurden die Spannungen zwischen der Türkei und Kurden auch in Deutschland ausgetragen. Könnten wir so etwas jetzt auch wieder erleben?

Burç:
Das ist schwierig zu sagen, die 90er Jahren waren eine ganz andere Zeit. Der Informationsfluss war noch nicht so schnell wie heute — etwa durch soziale Netzwerke. Viele Menschen versuchten damals, die Stille im Westen durch öffentliche Protestaktionen zu brechen. Auch heute haben wir eine starke Politisierung der hierzulande lebenden kurdischen und türkischen Bevölkerung. Ob jedoch der Konflikt erneut in Deutschland ausgetragen wird, kann ich nicht sagen. Sicher ist, dass die Situation in der Türkei uns natürlich sehr direkt betrifft. Die deutsche Politik ist gut beraten, an der Befriedung des Konfliktes mitzuwirken und sich nicht blind auf die Seite der türkischen Regierung zu stellen.

Wie könnte das aussehen?

Burç:
Berlin muss Ankara davon überzeugen, den abgebrochenen Friedensprozess vor allem mit der PKK wieder aufzunehmen. Nur mit Frieden in der Türkei wird es auch Frieden in Syrien geben. Eine militärische Lösung kann am Ende keinen Gewinner kennen, sondern nur zwei Verlierer. Auf kurdischer Seite sehe ich diese Dialogbereitschaft, der türkischen Regierung kann man nur dringend dazu raten.

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