Wieder eine Stadt weg: Deutschland schrumpft

Die Zahl der Einwohner sank im vergangenen Jahr um 250 000 auf weniger als 82 Millionen.

Wiesbaden. Wieder ist eine Großstadt mit 250 000 Einwohnern aus Deutschland verschwunden. Die Bevölkerungszahl zwischen Kiel und Konstanz, zwischen Kaiserslautern und Köthen schrumpft seit 2003 stetig, auf inzwischen weniger als 82 Millionen. Das sind 0,3 Prozent und wenigstens eine Großstadt weniger als vor Jahresfrist, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden errechnet hat. Zu der anhaltend niedrigen Geburtenrate kommt, dass im zweiten Jahr hintereinander mehr Menschen Deutschland verlassen haben als zugezogen sind. Der Direktor des Instituts für Bevölkerungs- und Gesundheitsforschung der Universität Bielefeld, Ralf Ulrich, fordert daher dringend eine "geistige und politische Auseinandersetzung mit diesem negativen Wanderungssaldo".

Dieser beträgt für 2009 schätzungsweise 20 000 bis 70 000 Menschen, also eine kleinere Stadt bis zur Größe von Bad Homburg oder Bamberg. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, werde die Bevölkerung in Deutschland noch stärker abnehmen als bisher angenommen, betont Ulrich. Die Fachleute beim Statistischen Bundesamt hätten im vergangenen Jahr zwölf verschiedene demografische Varianten gerechnet. Am wahrscheinlichsten sei danach, dass die Bevölkerung bis 2030 auf rund 77 Millionen und bis 2060 auf rund 64,6 Millionen zurückgehe. Sollten sich Zu- und Abwanderung in den nächsten Jahren die Waage halten, oder gar mehr Menschen aus- als einwandern, könne die Bevölkerung bis auf 74 Millionen im Jahr 2030 und rund 60 Millionen im Jahr 2060 sinken.

Damit wird es weniger Arbeitskräfte geben, und dies wirkt sich auf die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland aus, wie Ulrich mahnt. Schon derzeit rechne die Fachwelt damit, dass auf jeden Deutschen im erwerbsfähigen Alter im Jahr 2050 ein über 60-Jähriger komme. "Dieser Altenquotient wird noch steigen, wenn die Zuwanderung so niedrig bleibt." Eine gesellschaftspolitische Diskussion über die Ursachen des Fortzugs von Ausländern und über die Attraktivität Deutschlands für Zuwanderer sei dringend notwendig.

Martin Gasche vom Mannheimer Forschungsinstitut Ökonomie und Demographischer Wandel (MEA) in Mannheim bringt die Folgen auf den Punkt: "Das Einkommen muss von weniger Leuten geschaffen werden, und daraus (müssen) immer mehr Alte bezahlt werden." Dies könne abgefangen werden, indem mehr Frauen arbeiteten, ältere Menschen länger und Jüngere früher erwerbstätig seien. "Der Einzelne muss auch produktiver sein als heute." Dafür seien technischer Fortschritt und gute Ausbildung notwendig.

Unternehmen dürften ihre älteren Beschäftigten nicht so früh in den Ruhestand schicken. Und auch die Arbeitnehmer müssten umdenken und erkennen, dass sie mit 58 Jahren noch nicht genug gearbeitet hätten.

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